Samstag, 31. Juli 2010

Georg Forster - Tahiti

Entdeckungsreise nach Tahiti und in die Südsee 1772-1775

8. Kapitel

 

Ein Morgen war's, schöner als ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an dem wir die Insel Tahiti zwei Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter, hatte sich gelegt, ein vom Lande wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Oberfläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherlei majestätischen Gestalten und glühten im ersten Strahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigeren, sanft abhängenden Hügeln, die den Bergen gleich mit Waldung bedeckt und mit verschiedenem anmutigen Grün und herbstlichen Braun schattiert waren. Davor lag die Ebene, von Brotfruchtbäumen und unzähligen Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jenen emporragten. Noch erschien alles im tiefsten Schlaf; kaum tagte der Morgen, und stille Schatten schwebten noch auf der Landschaft. Allmählich aber konnte man unter den Bäumen eine Menge von Häusern und von Kanus unterscheiden, die auf den sandigen Strand gezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe von Klippen parallel mit dem Lande dahin, und über diese brach sich die See in schäumender Brandung. Hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt und versprach den sichersten Ankerplatz. Nun fing die Sonne an, die Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten, und die Aussicht begann zu leben.


Kaum bemerkte man die großen Schiffe an der Küste, so eilten einige unverzüglich nach dem Strand, stießen ihre Kanus ins Wasser und ruderten auf uns zu. Es dauerte nicht lange, so waren sie durch die Öffnung des Riffs hindurch, und eins kam uns so nahe, daß wir es anrufen konnten. Zwei fast nackte Leute mit einer Art Turban auf dem Kopfe und mit einer Schärpe um die Hüften saßen darin. Sie schwenkten ein großes, grünes Blatt und kamen mit einem oft wiederholten lauten »Tayo!« heran, ein Ausruf, den wir ohne große Mühe und Wörterbücher als einen Freundschaftsgruß auslegen konnten. Das Kanu ruderte unter das Heck des Schiffes, und wir ließen sogleich ein Geschenk von Glaskorallen, Nägeln und Medaillen hinab. Sie hingegen reichten uns einen grünen Pisangschößling zu, der bei ihnen ein Sinnbild des Friedens ist, und baten, ihn am Schiff zu befestigen, damit er einem jeden in die Augen fiele. Demzufolge wurde er an der Want des Hauptmastes festgemacht, worauf unsere Freunde sogleich zum Lande zurückkehrten. Es währte nicht lange, so sah man das Ufer mit einer Menge Menschen bedeckt, die nach uns hinguckten, während andere ihre Kanus ins Wasser stießen und sie mit Landesprodukten beluden. In weniger als einer Stunde umgaben uns Hunderte von diesen Fahrzeugen, in denen sich ein, zwei, drei, zuweilen auch vier Mann befanden. Ihr Vertrauen zu uns ging so weit, daß sie sämtlich unbewaffnet kamen. Von allen Seiten erscholl das willkommene »Tayo!«, und wir erwiderten es mit herzlichem Vergnügen. Sie brachten uns Kokosnüsse und Pisangs im Überfluß, nebst Brotfrucht und anderen Gewächsen, die sie eifrig gegen Glaskorallen und kleine Nägel eintauschten. Stücke Zeug, Fischangeln, steinerne Äxte und allerlei Arten von Werkzeugen wurden gleichfalls zum Kauf angeboten. Die Menge von Kanus stellte ein schönes Schauspiel, eine Art von neuer Messe auf dem Wasser dar. Ich fing sogleich an, durch das Kajütfenster zu handeln, und in einer halben Stunde hatte ich schon drei Arten unbekannter Vögel und eine große Anzahl neuer Fische beisammen. Die Farben der letzteren waren, so lange sie lebten, von ausnehmender Schönheit, weswegen ich gleich diesen Morgen dazu verwandte, sie zu zeichnen und die Farben anzulegen, ehe sie mit dem Leben schwanden.

Die Leute, welche uns umgaben, hatten viel Sanftes in ihren Zügen wie Gefälliges in ihrem Betragen. Sie waren ungefähr von unserer Größe, blaß mahagonibraun, hatten schöne schwarze Augen und Haare und trugen ein Stück Zeug von ihrer eigenen Arbeit mitten um den Leib, ein anderes in malerischen Formen wie einen Turban um den Kopf gewickelt. Die Frauen waren hübsch genug, um Europäern in die Augen zu fallen, die seit Jahr und Tag nichts mehr von ihren Landsmänninnen gesehen hatten. Ihre Kleidung bestand aus einem Stück Tuch, das in der Mitte ein Loch hatte, um den Kopf hindurchzustecken, und vorn bis auf die Knie herabfiel. Darüber trugen sie ein anderes Stück Zeug, das so fein wie Nesseltuch und unterhalb der Brust wie eine Tunika um den Leib geschlagen war, so daß ein Teil davon mit vieler Grazie über die Schulter hing. War diese Tracht auch nicht ganz so schön wie jene an den griechischen Statuen, so übertraf sie doch unsere Erwartungen gar sehr und dünkte uns der menschlichen Bildung ungleich vorteilhafter als jede andere, die wir bis jetzt gesehen. Beide Geschlechter waren durch die von anderen Reisenden bereits beschriebenen schwarzen Flecken geziert oder vielmehr entstellt, die aus dem Punktieren der Haut und durch Einreihen einer schwarzen Farbe in die Stiche entstehen. Bei den gemeinen Leuten, die mehrenteils nackt gingen, war dergleichen meist auf den Lenden zu sehen, ein augenscheinlicher Beweis, wie verschieden die Menschen über äußerlichen Schmuck denken und wie einmütig sie alle darauf verfallen sind, ihre persönlichen Vollkommenheiten auf die eine oder andere Weise zu erhöhen.

Es dauerte nicht lange, so kamen verschiedene dieser Leute an Bord. Das ungewöhnlich sanfte Wesen, das ein Hauptzug ihres Charakters ist, leuchtete aus allen ihren Gebärden und Handlungen und gab einem jeden, der das menschliche Herz studierte, zu Betrachtungen Anlaß. Die äußeren Zeichen ihrer Zuneigung waren von verschiedener Art, einige ergriffen unsere Hände, andere lehnten sich an unsere Schultern, noch andere umarmten uns. Zur gleichen Zeit bewunderten sie die weiße Farbe unserer Haut und zogen uns zuweilen die Kleider von der Brust, als ob sie sich erst überzeugen wollten, daß wir ebenso beschaffen wären wie sie.
Da sie merkten, daß wir Lust hatten, ihre Sprache zu lernen, weil wir uns nach der Benennung vieler Gegenstände erkundigten oder sie nach den Wörterbüchern früherer Reisender hersagten, gaben sie sich viele Mühe, uns zu unterrichten, und sie freuten sich, wenn wir die richtige Aussprache eines Wortes trafen. Was mich anlangt, so schien mir keine Sprache leichter als diese. Alle harten und zischenden Konsonanten sind daraus verbannt, und fast jedes Wort endet mit einem Selbstlaut. Was dazu erforderlich, war nur ein scharfes Ohr, um die mannigfaltigen Modifikationen der Selbstlaute zu unterscheiden, die natürlich in einer Sprache vorkommen müssen, die auf wenige Mitlaute beschränkt ist. Unter anderen Eigentümlichkeiten der Sprache bemerkten wir sogleich, daß das O und E, womit die meisten Namen in Kapitän Cooks erster Reise anfangen, nichts als Artikel sind, die ich aber im Verfolg dieses Berichtes entweder weglassen oder durch einen Strich von einem Hauptwort trennen werde.

In dem vor uns liegenden Riff befand sich eine Öffnung, und diese war der Eingang zu dem bei der kleineren Halbinsel von Tahiti gelegenen Hafen Whai-Urua. Wir sandten deshalb ein Boot aus, um die Einfahrt und den Hafen sondieren zu lassen. Die Leute fanden guten Ankergrund und gingen darauf an Land, wo sich sogleich eine Menge Einwohner um sie versammelte. Wir lagen der Küste so nahe, daß wir schon das Quieken junger Ferkel hören konnten, und dieser Ton klang uns damals lieblicher als die herrlichste Musik des größten Virtuosen. Indessen waren unsere Leute nicht so glücklich, einige davon zu erhandeln, vielmehr weigerte man sich, sie ihnen zu verkaufen unter dem Vorwande, daß sie insgesamt dem König gehörten.
Mittlerweile langte beim Schiff ein größeres Kanu an, in dem sich ein schöner, wohlgebildeter Mann befand, der drei Frauen bei sich hatte. Sie kamen alle an Bord, und der Mann meldete uns, daß er O-Tai heiße. Er schien von einiger Bedeutung zu sein und mochte wohl zu der Klasse von Vasallen oder Freien gehören, die in Kapitän Cooks erster Reise Manahunaes genannt werden. Er gesellte sich zu den Offizieren, die auf dem Deck versammelt waren, weil er denken mochte, daß sich diese Gesellschaft am besten für ihn schickte. Von den drei Weibern, die er bei sich hatte, war die eine seine Frau, die anderen waren seine Schwestern. Die letzteren hatten ein besonderes Vergnügen daran, uns zu lehren, wie wir sie bei ihren Namen nennen müßten, die eine hieß nämlich Maroya und die andere Marorai. Letztere hatte eine graziöse Figur und war besonders am Oberteil des Körpers von ungemein schönem und zartem Bau. Sie hatte ein angenehmes rundliches Gesicht, über welches ein holdes Lächeln verbreitet war. Mit Hilfe unserer Wörterbücher legten wir O-Tai verschiedene Fragen vor. Eine der ersten war, ob Tutahah (der damalige Regent der Insel) noch wohlauf sei. Wir erhielten zur Antwort, er sei tot und von den Bewohnern auf Teiarrabu, der kleinen Halbinsel, erschlagen, auf welcher Aheatua Eri oder König sei. Diese Nachricht bestätigte sich bald durch die Aussage seiner Landsleute.
Es schien, als wären Ochiff gewesen, so sehr bewunderten sie alles, was sie darauf vorfanden. Sie sahen sich aber nicht nur auf dem Deck um, sondern ließen sich von einem unserer Mitreisenden nach den Kajüten der Offizieren hinabführen. Marorai fand an einigen Bettüchern besonderes Wohlgefallen und versuchte auf alle mögliche Art und Weise, sie von ihrem Begleiter geschenkt zu bekommen. Er war nicht abgeneigt, sie ihr zu überlassen, verlangte aber eine besondere Gunstbezeigung dafür, zu welcher Marorai sich anfänglich nicht verstehen wollte. Als sie indessen sah, daß es kein anderes Mittel zum Zweck gab, so ergab sie sich endlich. Schon bereitete sich der Sieger, seinen Triumph zu feiern, als das Schiff, zur ungelegensten Zeit von der Welt, gegen einen Felsen stieß und ihm die ganze Freude verdarb. Der erschreckte Liebhaber, der die Gefahr des Schiffes deutlicher einsah als seine Geliebte, eilte sogleich an Deck, wohin auch alle übrigen Seeleute eilten, jeder an seinen Posten, ohne sich um die Besucher zu kümmern.

Wir fanden bald, daß uns die Flut während der Windstille unbemerkt gegen die Felsen getrieben hatte und daß wir auch wirklich bereits darauf festsaßen. Mittlerweile schlug das Schiff einmal über das andere auf den Felsen auf, so daß es allerdings mißlich um uns aussah. Zum Glück war die See nicht unruhig, mithin keine besondere Brandung an den Felsen, hätte sich indessen ein Seewind eingestellt, dann wäre das Schiff unmöglich zu retten gewesen. Offizier und Passagier taten bei dieser Gelegenheit ihr Äußerstes. Es wurde ein Boot ausgesetzt, nicht weit von uns ein Anker ausgeworfen und vermittels desselben das Schiff losgehoben und wieder flottgemacht. Die Insulaner an Bord legten mit Hand an, sie arbeiteten an der Winde, halfen uns die Taue einnehmen und dergleichen mehr. Als uns dieser Unfall begegnete, war die »Adventure« dicht bei uns, sie entging aber der Gefahr dadurch, daß sie eilends die Anker aus- warf.

Es war ungefähr drei Uhr, als wir nach anderthalbstündiger Arbeit wieder loskamen. Da diese Gegend sehr gefährlich war, bemannten wir die Boote beider Schiffe und ließen uns wieder in See bugsieren. Wir lavierten darauf mit beiden Schiffen die ganze Nacht hindurch und sahen die gefährlichen Felsen von vielen Feuern erleuchtet, bei deren Schein die Insulaner fischten. Als einer der Offiziere schlafen gehen wollte, fand er sein Bett ohne Bettlaken, die vermutlich von der schönen Marorai mitgenommen worden waren.

Am folgenden Morgen näherten wir uns von neuem der Küste. Es dauerte nicht lange, so waren wir wieder von Kanus umgeben, in welchen die Eingeborenen Erfrischungen in Menge, nur kein Fleisch brachten. Die Boote schlugen oft um, aber das war für die Leute kein großer Unfall, da Männer wie Weiber vortreffliche Schwimmer sind und die Boote in großer Geschwindigkeit wieder umzukehren wissen. Da sie fanden, daß ich mich nach Pflanzen und anderen Merkwürdigkeiten erkundigte, brachten sie mir vieles, aber oftmals nur die Blätter ohne Blüten und umgekehrt. Auf diese Weise bekam ich auch allerhand Muscheln, Korallengewächse, Vögel und dergleichen.

Um 11 Uhr ankerten wir in einem kleinen Hafen, O-Aitepieha genannt, der am nördlichen Ende der kleinen Halbinsel von Tahiti liegt, die in der Landessprache Teiarrabu heißt. Nun fing der Zulauf des Volkes erst recht an, und die Kanus kamen von allen Seiten herbei. Die Leute waren auf unsere Korallen, Nägel und Messer so erpicht, daß wir gegen diese Waren eine unglaubliche Menge an Zeug und Gerätschaften, desgleichen Kokosnüsse, Brotfrucht, Yams und Pisangfrüchte in Überfluß zusammenbrachten. Die Verkäufer kamen zum Teil aufs Deck und nahmen die Gelegenheit wahr, allerlei Kleinigkeiten zu stehlen, einige machten es gar so arg, daß sie unsere erhandelten Kokosnüsse wieder über Bord zu ihren Kameraden praktizierten, und diese verkauften sie unseren Leuten alsdann zum zweitenmal. Um nicht wieder betrogen zu werden, wurden die Diebe vom Schiff gejagt und dabei mit einigen Peitschenhieben gezüchtigt, die sie geduldig ertrugen.

Nachmittags gingen die Kapitäne nebst einigen Herren zum erstenmal an Land, um den O-Aheatua zu besuchen, den alle Einwohner dieser Gegend als ihren Eri oder König anerkannten. Während dieser Zeit war das Schiff von einer Menge Kanus umringt. Auf den Decks wimmelte es von Insulanern, und unter ihnen gab es verschiedene Frauenspersonen, die sich ohne Schwierigkeiten den Wünschen unserer Matrosen überließen. Einige von ihnen mochten kaum neun oder zehn Jahre alt sein und hatten noch nicht das geringste Zeichen der Mannbarkeit an sich. So frühzeitige Ausschweifungen müssen allerdings Einfluß auf die Nation haben. Die natürlichste Folge davon bestand darin, daß das gemeine Volk, zu dem alle diese liederlichen Weibsbilder gehörten, durchgehend von kleiner Statur war. Sie hatten unregelmäßige, gemeine Gesichtszüge, aber schöne, große Augen, nächst diesen ersetzte auch ein ungezwungenes Lächeln und ein ständiges Bemühen zu gefallen den Mangel an Schönheit so vollkommen, daß unsere Matrosen von ihnen ganz bezaubert waren und Hemd und Kleider weggaben, um sich diesen neuen Mätressen gefällig zu bezeigen. Die Landestracht, die den wohlgebildeten Busen und die schönen Arme und Hände unbedeckt ließ, mochte freilich das ihrige dazu beitragen, unsere Leute in Flammen zu setzen, und der Anblick verschiedener solcher Nymphen, die in dieser oder jener verführerischen Positur behend um das Schiff herumschwammen, so nackt als die Natur sie gebildet hatte, war allerdings mehr als hinreichend, das bißchen Vernunft ganz zu blenden, das ein Matrose zur Beherrschung der Leidenschaften etwa noch übrig haben mochte.

Einer der Offiziere, der seine Freude an einem Knaben von ungefähr sechs Jahren hatte, der dicht am Schiff in einem Kanu saß, wollte ihm vom Achterdeck eine Korallenschnur zuwerfen, der Wurf ging aber fehl und ins Wasser. Nun besann sich der Junge nicht lange, sondern plumpste hinterdrein, tauchte und brachte die Korallen wieder herauf. Um diese Geschicklichkeit zu belohnen, warfen wir ihm mehrere zu, und das bewog eine Menge von Frauen und Männern, uns ebenfalls ihre Geschicklichkeit zu zeigen. Sie holten nicht nur einzelne Korallen, sondern auch große Nägel wieder herauf, obschon diese schnell in die Tiefe sanken. Manchmal blieben sie lange unter Wasser, was uns aber am bewunderungswürdigsten dünkte, war die außerordentliche Geschwindigkeit, mit der sie zum Grund hinabschossen und die sich bei dem klaren Wasser deudich beobachten ließ. Nachdem sie diese Schwimmübungen bis zum Untergang der Sonne fortgesetzt hatten, kehrten sie allmählich wieder nach der Insel zurück.

Um diese Zeit kamen auch die Kapitäne mit ihrer Gesellschaft zurück, ohne den König gesehen zu haben, der sie nicht hatte vor sich kommen, aber ihnen hatte sagen lassen, daß er sie am nächsten Tage besuchen werde. Um indessen nicht ganz vergebens an Land gewesen zu sein, nahmen sie längs der Küste einen Spaziergang vor. Eine Menge von Insulanern folgte ihnen nach, und als sie unterwegs an einen Bach kamen, boten die Leute sich um die Wette an, sie hinüberzutragen. Jenseits zerstreuten sich die Insulaner nach und nach, so daß sie schließlich nur noch einen einzigen Mann bei sich hatten. Diesem folgten sie nach einer unbebauten Landspitze, die sich ins Meer erstreckte. Der Ort war mit vielen Pflanzen und Stauden bewachsen, und als sie sich durch dies Buschwerk hindurchgearbeitet hatten, stand ein pyramidenförmiges Gebäude aus Steinen vor ihnen, dessen Basis etwa zwanzig Schritte breit sein mochte. Das ganze Gebäude war aus mehreren Terrassen übereinander aufgeführt, die aber ziemlich zerfallen und mit Buschwerk überwachsen waren. Ihr Begleiter sagte ihnen, es sei ein Begräbnisplatz oder ein Marai, und er nannte es Marai no-Aheatua, den Begräbnisplatz des Aheatua, der jetzt König auf Teiarrabu ist. Rund um das Gebäude standen fünfzehn senkrecht in die Erde gesteckte Pfosten, an denen man ziemlich krüppelig eingeschnittene Menschenfiguren fand. Etwas seitwärts stand ein Strohdach auf vier Pfosten, und davor war ein Zaun errichtet und mit Pisangfrüchten und Kokosnüssen für die Gottheit behangen. Hier setzten sie sich nieder, und ihr Begleiter bot ihnen einige von den Früchten an. Eine solche Einladung war nicht zu verschmähen, auch trugen sie keine Bedenken, es sich auf Kosten der Götter recht gut schmecken zu lassen. Bei einbrechendem Abend kehrten sie auf das Schiff zurück.

Als wir am folgenden Tage früh an Deck kamen, um die kühle Morgenluft zu genießen, fanden wir die herrlichste Aussicht vor uns, und der Morgenglanz der Sonne breitete gleichsam doppelte Reize über die natürlichen Schönheiten der Landschaft aus. Der Hafen, in dem wir lagen, war nur klein, so daß unsere Schiffe ihn fast gänzlich ausfüllten. Das Wasser war so klar wie Kristall und so glatt wie ein Spiegel, während die See sich an den äußeren Felsen in weißschäumenden Wellen brach. Dem Schiffe gerade gegenüber öffnete sich ein enges, wohlbebautes Tal, das auf beiden Seiten von waldbedeckten Hügeln eingefaßt war. Über diese ragten im Inneren des Landes romantisch geformte, steile Berggipfel empor, wovon einer auf eine malerisch schöne, aber fürchterliche Art überhing und gleichsam mit dem Einsturz drohte.
Mittlerweile wurden die Boote beider Schiffe nach Whai-Urua geschickt, um die Anker zu holen, die wir dort im Grunde hatten sitzen lassen, als wir auf den Felsen stießen. Zu gleicher Zeit wurden einige Seesoldaten und Matrosen an Land geschickt, um die leeren Fässer mit Wasser zu füllen. Sie faßten auf dem Lande in einem verlassenen Hause Posto, das ihnen nicht nur Schatten, sondern auch Sicherheit vor den Diebereien des Volkes verschaffte. Als wir eben im Begriff waren, mit dem Kapitän an Land zu gehen, bekam dieser den Besuch eines angesehenen Mannes, der O-Pue hieß und seine beiden Söhne bei sich hatte. Sie brachten dem Kapitän etwas Zeug und einige Kleinigkeiten zum Geschenk und erhielten dafür Messer, Nägel, Korallen und ein Hemd, das einer von ihnen gleich anlegte, und in diesem Aufzug begleiteten sie uns an Land.
Sobald wir ausgestiegen waren, eilten wir nach den Plantagen, und wir fanden bald, daß Bougainville nicht zu weit gegangen sei, wenn er dies Land als ein Paradies beschrieben hatte. Wir befanden uns in einem Wald von Brotfruchtbäumen, hohe Kokospalmen ragten weit über die anderen Bäume empor. Der Pisang prangte mit seinen schönen breiten Blättern und zum Teil auch noch mit einzelnen traubenförmigen Früchten. Eine schattenreiche Art von Bäumen trug goldgelbe Äpfel, die den würzhaften Geschmack der Ananas hatten. Der Zwischenraum war mit chinesischen Maulbeerbäumen bepflanzt, deren Rinde zur Anfertigung der hiesigen Zeuge gebraucht wird, und mit verschiedenen Arten von Arumwurzeln, mit Yams, Zuckerrohr und anderen nutzbaren Pflanzen. Die Wohnungen lagen einzeln im Schatten der Brotfruchtbäume und bestanden meist nur aus einem Dach, das auf einigen Pfosten ruhte, und sie pflegten an allen Seiten offen, ohne Wände zu sein, die auch bei dem vortrefflichen Klima des Landes gut zu entbehren sind. Der Pandang oder Palmnußbaum liefert ihnen seine breiten Blätter statt der Ziegel, und die Pfeiler werden aus dem Stamm des Brotfruchtbaumes gemacht.
Vor jeder Hütte sah man eine kleine Gruppe von Leuten, die sich ins weiche Gras gelagert hatten oder mit kreuzweise übereinandergeschlagenen Beinen beisammen saßen und entweder ihre glücklichen Stunden verplauderten oder ausruhten. Da unsere Begleiter gewahr wurden, daß wir Pflanzen sammelten, waren sie sehr emsig, dieselben Sorten zu pflücken und herbeizubringen. Es gab auch in der Tat eine Menge von wilden Arten in den Plantagen. Mancherlei kleine Vögel wohnten in den Bäumen und sangen sehr angenehm, obgleich man, ich weiß nicht warum, in Europa den Irrtum hegt, daß es den Vögeln in heißen Ländern an harmonischen Stimmen fehle. In den Gipfeln der Kokosbäume pflegte sich ein kleiner, saphirblauer Papagei aufzuhalten, und eine andere grünliche Art mit roten Flecken sah man häufig in den Pisangbäumen, traf sie auch oft zahm in den Häusern an. Ein Eisvogel, ein großer Kuckuck und verschiedene Arten von Tauben hüpften auf den Zweigen umher, indes ein bläulicher Reiher gravitätisch am Seeufer einherging, um Muscheln, Schnecken und Würmer aufzulesen.
Ein schöner Bach kam in schlängelndem Lauf das Tal herab und füllte an der Mündung unsere Fässer mit kristallklarem Wasser. Wir gingen an seinem Ufer eine Strecke hinauf, bis uns ein großer Haufen Insulaner begegnete, der hinter drei Leuten herzog, die in rotes und gelbes Zeug gekleidet waren und ebensolche Turbane trugen. Sie hielten lange Stäbe in der Hand, und einer hatte eine Frauensperson bei sich, die seine Frau sein sollte. Wir fragten, was dieser Aufzug zu bedeuten habe, und erhielten die Antwort, es seien Tata-no-te- tua, das sind Männer, die der Gottheit und dem Marai oder Begräbnisplatz dienten. Man mochte sie also wohl Priester nennen. Wir blieben einige Zeit stehen, um abzuwarten, ob sie etwa eine Art gottesdienstlicher Handlung vornehmen würden, da aber nichts dergleichen geschah, kehrten wir nach dem Strand zurück. Um die Mittagszeit ging Kapitän Cook mit uns und den beiden Söhnen des O-Pue wieder an Bord, ohne den Aheatua gesehen zu haben, der uns noch immer nicht vor sich kommen lassen wollte.
Unsere beiden Gäste setzten sich mit uns zu Tische und aßen von den Gemüsen, das Pökelfleisch aber ließen sie unberührt. Nach Tische nahm einer die Gelegenheit wahr, ein Messer und einen Löffel zu mausen, obgleich ihm der Kapitän eine Menge Sachen gegeben hatte. Sobald er sah, daß die Dieberei entdeckt war, sprang er über Bord, schwamm zum nächsten Kanu und setzte sich ruhig in demselben nieder. Kapitän Cook konnte sich aus Unwillen über das schändliche Betragen dieses Kerls nicht enthalten, ihm eine Flintenkugel über den Kopf hinweg zu feuern, allein dies fruchtete nicht mehr, als daß der Insulaner von neuem ins Wasser sprang und das Kanu dabei kentern ließ. Man feuerte zum zweitenmal nach ihm, aber sobald er das Feuer aufblitzen sah, tauchte er unter, und ebenso machte er es beim dritten Schuß. Nun bemannte der Kapitän sein Boot und ruderte nach dem Kanu, unter dem sich der Taucher versteckt hatte. Dieser aber schwamm nun nach einem Doppelkanu, das nicht weit von ihm lag. Auch diesem wurde nachgesetzt, aber es entkam durch die Brandung auf den Strand, und die Insulaner fingen von dort an, mit Steinen nach unseren Leuten zu werfen, so daß diese es für ratsam hielten, sich zurückzuziehen. Endlich wurde ein Vierpfünder gegen das Land abgefeuert, der den Insulanern einen solchen Schrecken einjagte, daß unsere Leute zwei Doppelkanus ohne Widerstand wegnehmen und mit ans Schiff bringen konnten.

Nachdem dieser Tumult vorüber war, gingen wir an Land, um das Vertrauen des Volkes wiederzugewinnen, das uns der Feindseligkeiten wegen mit einemmal verlassen hatte. Wir kamen an einem großen, mit Rohrwänden versehenen Hause vorüber. Es sollte dem Aheatua gehören und dieser sich jetzt in einer anderen Gegend aufhalten. Wir fanden hier ein Schwein und etliche Hühner, die ersten, die uns die Insulaner zu Gesicht kommen ließen und die sie uns nie verkaufen wollten, da sie dem Eri oder König gehörten. Sie brachten dies auch jetzt vor, obschon wir ihnen ein Beil dafür boten, das auch für sie das höchste war, das sie verlangen konnten. Nach einem kurzen Aufenthalt kehrten wir zurück und brachten eine kleine Partie neuer Pflanzen mit an Bord. Gegen Sonnenuntergang wurde ein Boot hinausgeschickt, um einen Seesoldaten, namens Isaac Taylor, der See zu übergeben, der heute morgen gestorben war. Seit wir England verlassen hatten, war er ständig fiebrig, schwindsüchtig und asthmatisch gewesen, bis zuletzt eine Wassersucht seinem Leben ein Ende gemacht hatte. Alle übrigen Leute waren nun wohl, einen einzigen Mann ausgenommen, der allemal von neuem bettlägerig wurde, sooft wir in See gingen. Doch auch dieser Mann und auch die skorbutkranken Leute von der »Adventure« erholten sich außerordentlich geschwind durch Spazierengehen am Ufer und durch den Genuß von frischer Kräuterkost.
Früh am folgenden Morgen kamen etliche Insulaner in einem Kanu zu uns und baten um die Rückgabe der beiden größeren, die man ihnen tags zuvor weggenommen hatte. Da Kapitän Cook innegeworden war, daß der Handel ins Stocken geraten war und nur wenige Insulaner an den Wasserplatz gekommen waren, ließ er ihnen die Kanus zurückgeben. Der Erfolg blieb nicht lange aus, denn im Verlauf zweier oder dreier Tage war der Handel völlig wiederhergestellt.

Nun gingen wir wieder zum Botanisieren an Land. Wir mochten etliche hundert Schritte gegangen sein, da erscholl im Walde ein lautes Klopfen, als ob Zimmerleute an der Arbeit seien. Da dies unsere Neugier erregte, gingen wir ihm nach und entdeckten einen Schuppen, unter dem sechs Weibsleute an einem langen viereckigen Balken saßen, auf dem sie die faserige Rinde des Maulbeerbaumes klopften, um Zeug daraus zu machen. Das Instrument, dessen sie sich dabei bedienten, war ein schmales, vierseitiges Holz. Sie hielten eine Weile inne, damit wir die Rinde, die Hämmer und den Balken betrachten konnten, und sie zeigten uns eine Art Leimwasser in einer Kokosschale, womit sie die Rinde von Zeit zu Zeit besprengten, um die Stücke in eine zusammenhängende Masse zu bringen. Die Weiber waren ganz dürftig in alte Lumpen gekleidet, und daß die Arbeit nicht gerade leicht sein mußte, konnte man daraus schließen, daß ihre Hände eine dicke, hornartige Haut davon bekommen hatten.

Wir setzten unseren Weg fort und gelangten in ein schmales Tal. Ein gutaussehender Mann, an dessen Haus wir vorüberkamen, lag im Schatten und lud uns ein, neben ihm auszuruhen. Sobald er sah, daß wir nicht abgeneigt dazu waren, lief er ins Haus, holte eine Menge gebackene Brotfrucht und setzte sie uns auf Pisangblättern vor. Dann brachte er noch einen Korb voll tahitische Äpfel und bat uns zuzulangen. Wir fanden die tahitische Zubereitung der Brotfrucht, die wie alle anderen Speisen mittels heißer Steine in der Erde gebacken wird, unendlich besser als unsere Art, sie zu kochen. Bei dieser Zubereitung bleibt aller Saft erhalten, beim Kochen hingegen saugt sich viel Wasser in die Frucht, und vom Saft und Geschmack geht viel verloren.
Ausgeruht und erquickt schieden wir nun von diesem friedlichen Sitz patriarchalischer Gastfreiheit, gingen weiter ins Land hinein und erreichten das Ende des Tales. Hier hörten die Hütten und Pflanzungen auf, und wir hatten nun die Berge vor uns, zu denen ein Fußsteig durch wildes Gebüsch hinaufführte. An den verwachsensten Stellen fanden wir verschiedene Pflanzen, desgleichen einige Vögel, die bis jetzt noch unbekannt waren. Mit diesem kleinen Lohn für unsere Mühe kehrten wir nach dem Ufer zurück. Dort trafen wir auf eine starke Ansammlung von Insulanern und sahen, daß unsere Leute eine Menge Wurzeln und Gemüse, an Brotfrüchten hingegen nur wenige zusammengebracht hatten. Dies rührte von der späten Jahreszeit her, in der nur wenige Bäume noch einzelne Früchte trugen, die meisten hingegen schon wieder für die nächste Ernte angesetzt hatten. Die starke Hitze reizte uns zum Baden, und ein Arm des nahegelegenen Flusses bot uns Gelegenheit dazu. Nachdem wir uns in dem kühlen Wasser erfrischt hatten, kehrten wir zu Mittag auf das Schiff zurück.

Nachmittags wurde es regnerisch und stürmisch. Der Wind trieb die »Adventure« vom Anker, doch wurde sie durch schleunige gute Arbeit ihrer Leute bald wieder in die vorige Lage gebracht. Da das Wetter uns an Bord eingeschlossen hielt, beschäftigten wir uns damit, die gesammelten Pflanzen und Tiere in Ordnung zu bringen und die unbekannten zu zeichnen. Die Zahl der Pflanzen war aber gar nicht hoch, welches bei einer so blühenden Insel wie Tahiti ein überzeugender Beweis ihrer hohen Kultur ist. Wäre sie weniger angebaut, so würde das Land mit hunderterlei Kräutern wild überwachsen gewesen sein. Auch von Tieren gab es nur wenige allhier. Außer einer ungeheuren Menge an Ratten, die die Eingeborenen ungehindert herumlaufen ließen, fanden wir keine anderen vierfüßigen Tiere als zahme Schweine und Hunde. Vögel waren hingegen ungleich zahlreicher, und an Fischen gab es eine so große Menge neuer Arten, daß man fast jedesmal auf Entdeckungen rechnen konnte, sooft den Insulanern ein neuer Vorrat davon abgekauft wurde.

Das einzige, woran es uns noch fehlte, war Schweinefleisch. Dies kam uns um so härter an, als wir auf allen Spaziergängen dergleichen Tiere in Menge trafen, obgleich die Leute sich Mühe gaben, sie versteckt zu halten. Sie sperrten sie in kleine Ställe, die oben mit Brettern belegt waren, auf die sie sich setzten oder niederlegten. Wir boten ihnen Beile, Hemden und andere Waren an, aber alles war umsonst. Sie blieben dabei, die Schweine gehörten dem Eri oder König. Anstatt mit dieser Antwort zufrieden zu sein und dem guten Willen der Leute Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die uns doch mit anderen Lebensmitteln versorgten, denen unsere Kranken ihre Wiederherstellung zu verdanken hatten, machten einige den Kapitänen den Vorschlag, mit Gewalt eine hinlängliche Zahl von Schweinen wegzunehmen und hernach den Insulanern so viel an europäischen Waren zu geben, als das geraubte Vieh wert sein mochte. Da aber ein solches Verfahren ganz und gar tyrannisch, ja auf die niederträchtigste Weise eigennützig gewesen wäre, wurde der Antrag mit Verachtung und Unwillen verworfen.

Am 20. nahm ich mit verschiedenen Offizieren um die Mittagszeit einen Spaziergang nach der östlichen Landspitze des Hafens vor. Auf dem Wege dorthin fanden wir einen Bach vor uns, der zum Durchwaten zu tief und zu breit war, wir wagten es also, in ein Kanu zu steigen und kamen damit auch glücklich hinüber. Auf dem jenseitigen Ufer schimmerte aus dem Buschwerk ein ziemlich großes Gebäude hervor, und vor demselben fanden wir eine Menge des feineren tahitischen Zeugs, das in dem Fluß gewaschen war, auf dem Grase ausgebreitet liegen. Ein Mann mittleren Alters, der in dieser Hütte seiner Ruhe pflegte, nötigte uns, bei ihm Platz zu nehmen, und sobald dies geschehen war, untersuchte er aufmerksam meine Kleider. Er hatte sehr lange Nägel an den Fingern, worauf er sich nicht wenig zugute tat. Ich merkte auch bald, daß dies ein Ehrenzeichen ist, insofern nur Leute, die nicht arbeiten, die Nägel so lang wachsen lassen können. Eben diese Gewohnheit findet man auch unter den Chinesen. In verschiedenen Winkeln der Hütte saßen hier die Mannsleute, dort die Frauenspersonen und nahmen gesondert ihr Mittagsmahl zu sich.
Nachdem wir diese Hütte verlassen hatten, gelangten wir durch ein wohlriechendes Gebüsch zu einer anderen, in der sich O-Tai, seine Frau und seine Kinder, dazu die beiden Schwestern Maroya und Marorai befanden. Der Offizier, der seine Bettücher eingebüßt hatte, war bei uns, hielt es aber für vergebliche Mühe, danach zu fragen, er suchte vielmehr seine Schöne durch neue Geschenke zu gewinnen. Das Mädchen nahm sie freundlich an, blieb aber bei den feurigsten Wünschen ihres Liebhabers unerbittlich. Was ihr so sehr am Herzen gelegen und wofür allein sie sich ihm ergeben haben würde, das mochten die Bettücher gewesen sein, und die hatte sie vermutlich weg. Dazu kam noch, daß sie zu einer angesehenen Familie gehörte, und während Kapitän Cooks vorigem langen Aufenthalt auf der Insel hatte man wenig oder gar keine Beispiele gefunden, daß Frauen von besserem Stande sich so gemein gemacht haben sollten. Wir konnten uns nicht lange bei ihnen aufhalten, es war wirklich schon so spät, daß, als wir zum Strand kamen, unsere Boote bereits zum Schiff zurückgekehrt waren. Ich wurde aber mit einem Insulaner einig, daß er mich für eine einzige Glaskoralle, die mir übriggeblieben war, in seinem Kanu nach dem Schiff übersetzte.
Bei Anbruch des folgenden Tages gingen wir wieder an Land und von neuem nach Osten hin. Je näher wir der östlichen Spitze des Hafens Aitepieha kamen, desto breiter wurde die Ebene; die Pflanzungen von Brotfrucht und Kokosbäumen, von Pisang und anderen Gewächsen wurden immer ansehnlicher. Auch die Zahl der Wohnhäuser nahm zu, und viele derselben schienen uns reinlicher und neuer zu sein als am Ankerplatz. Unter anderem erblickten wir in einem, das mit Rohrwänden versehen war, große Ballen von Zeug und eine Menge von Brustschildfutteralen, die unter dem Dach hingen. All dieses, wie auch das Haus, gehörte dem König Aheatua. Wir gingen ungefähr zwei Meilen weit durch anmutige Wälder und Pflanzungen und sahen, wie die Leute aller Orten wieder an ihr Tagwerk gingen, vornehmlich hörten wir die Zeugarbeiter fleißig klopfen. Man muß sich indessen nicht vorstellen, daß die Leute durch Not und Mangel genötigt waren, so unablässig zu arbeiten, denn wo wir nur hinkamen, versammelte sich bald ein großer Haufe um uns und folgte uns den ganzen Tag über zum Teil so unermüdlich nach, daß mancher das Mittagsbrot darüber versäumte. Im Ganzen war ihr Betragen gutherzig, freundschaftlich und dienstfertig, aber sie paßten auch jede Gelegenheit ab, die eine oder andere Kleinigkeit zu entwenden. Wenn wir sie freundlich ansahen oder ihnen zulächelten, hielten manche es für die richtige Zeit, von unserem guten Willen Gebrauch zu machen und in einem bittenden Ton ein »Tayo, poe!« hören zu lassen. Das bedeutete: »Freund, ein Korallchen!« Wenn sie mit diesem Anliegen zu häufig kamen, so zogen wir sie auf und wiederholten ihre kindliche Bettelei im gleichen Ton, worauf in dem ganzen Haufen ein lautes Gelächter entstand. Jedem neu Ankommenden wurden zuerst unsere Namen genannt, dann wurde einem jeden erzählt, was wir den Morgen über getan oder gesagt hatten. Die erste Bitte bestand gewöhnlich darin, daß wir ein Gewehr abfeuern möchten, und das taten wir unter der Bedingung, daß sie uns einen Vogel als Ziel zeigen konnten. Der erste Schuß machte immer großen Schrecken, einige fielen platt zur Erde oder rannten ungefähr zwanzig Schritte weit zurück, bis wir ihnen durch freundliches Zureden die Furcht genommen oder ihre herzhafteren Landsleute den geschossenen Vogel hergebracht hatten.

So freundlich wir nun auch an allen Orten aufgenommen wurden, so suchte man gleichwohl überall die Schweine vor uns zu verstecken. Wir hielten es also für das beste, uns gar nicht weiter darum zu kümmern, und ob wir auch in jeder Hütte Schweine genug verborgen fanden, so stellten wir uns doch, als merkten wir es nicht oder als wäre uns nichts darum zu tun. Nachdem wir einige Meilen weit gegangen waren, setzten wir uns auf einige große Steine nieder und baten die Einwohner, uns Brotfrüchte und Kokosnüsse zu verschaffen. Sie brachten herbei, was sie hatten, und bald stand das Frühstück aufgetischt vor uns. Um es ruhig verzehren zu können, ließen wir den ganzen Haufen in einiger Entfernung von uns niedersitzen, damit sie keine Gelegenheit hatten, Gewehre und andere Dinge zu erhaschen, die wir während des Essens von uns legen mußten. Als wir nach dem Frühstück weiter in die Berge gehen wollten, suchten uns die Insulaner zu überreden, lieber in der Ebene zu bleiben. Da wir aber sahen, daß diese Bitte nur aus ihrer Trägheit kam, gingen wir weiter, worauf der größte Teil unseres Gefolges hinter uns dreingaffend stehenblieb. Nur ein paar von ihnen blieben bei uns und erboten sich als Wegweiser. Sie führten uns einen Erdriß zwischen zwei Bergen hinauf, wo wir einige neue Pflanzen und eine Menge kleiner Schwalben antrafen, die über einen Bach hinstrichen, dessen schlangelnder Krümmung wir aufwärts folgten. Das Ufer brachte uns zu einem aufrechtstehenden Felsen, von welchem sich eine kristallhelle Wassersäule in einen glatten, klaren Teich herabstürzte, dessen anmutiges Gestade überall mit bunten Blumen prangte. Dies war eine der schönsten Gegenden, die ich in meinem Leben gesehen. Wir sahen von oben auf die fruchtbare, überall bewohnte Ebene hinab und jenseits dieser auf das weite blaue Meer hinaus.
Wir legten uns auf den weichen Rasen nieder, um die gesammelten Pflanzen zu beschreiben, ehe sie verwelkten. Unsere tahitischen Begleiter lagerten sich ebenfalls hin und sahen uns mit stiller Aufmerksamkeit zu. Sobald wir mit unseren Beschreibungen fertig waren, begnügten wir uns, die romantische Gegend noch einmal zu betrachten, und kehrten alsdann in die Ebene zurück. Hier kam uns ein großer Haufen Insulaner entgegen, die die Herren Hodges und Grindall begleiteten, zu denen auch wir uns gesellten. Herr Hodges hatte einem jungen Burschen sein Zeichenportefeuille anvertraut, der ganz stolz darauf zu sein schien, daß er im Angesicht aller seiner Landsleute mit dem Portefeuille unterm Arme neben uns hergehen konnte. Ja, auch die anderen Insulaner taten heute vertrauter als sonst, vielleicht weil es ihnen gefallen mochte, die Herren Hodges und Grindall so unbesorgt unter sich zu sehen, da sie völlig unbewaffnet waren.

In diesem friedlichen Aufzug gelangten wir nun an eine geräumige Hütte, in der eine zahlreiche Familie beisammen war. Ein alter Mann lag auf einer Matte, und sein Haupt ruhte auf einem Stuhl. Sein silbergraues Haar hing in Locken um das Haupt, und ein dichter Bart, so weiß wie Schnee, lag auf der Brust. Ein paar Kinder, der Landesgewohnheit nach ganz nackt, spielten mit dem Alten. Einige wohlgestaltete Männer und Frauen hatten sich um ihn gelagert, und bei unserem Eintritt schien die ganze Gesellschaft nach einer ländlichf frugalen Mahlzeit in vertraulichem Gespräch begriffen zu sein. Sie verlangten, daß wir uns neben sie setzten, und es schien, als hätten sie noch keinen Europäer von nahem gesehen, wenigstens fingen sie sogleich an, unsere Kleider und Waffen neugierig zu untersuchen. Man bewunderte unsere Farbe, drückte uns die Hände und konnte nicht begreifen, warum keine Punkturen darauf waren und daß wir keine langen Nägel hatten. Man erkundigte sich nach unseren Namen und machte sich eine Freude daraus, sie nachzusprechen. Dies kam aber ihrer Mundart entsprechend allemal so verstümmelt heraus, daß selbst Etymologen Mühe gehabt haben würden, sie wieder zu erraten. Forster wurde in Matara verändert, Hodges in Oreo, Grindall in Torrino, Sparman in Pamani und George in Teori.
An der Gastfreiheit fehlte auch hier nichts, man bot uns Kokosnüsse an, um den Durst zu löschen, und der Alte ließ uns obendrein eine Probe von den musikalischen Talenten seiner Familie hören.

Einer von den jungen Männern blies mit den Nasenlöchern eine Flöte aus Bambusrohr, die drei Löcher hatte, und ein anderer sang dazu. Die ganze Musik war nichts anderes als eine einförmige Abwechslung von drei oder vier Tönen, und es war nicht eine Spur von Melodie darin, und ebensowenig wurde auch eine Art von Takt beobachtet, und folglich hörte man nichts als ein einschläferndes Summen. Es ist sonderbar, daß, da der Geschmack an der Musik bei allen Völkern der Erde so allgemein verbreitet ist, dennoch die Begriffe von Harmonie und Wohlklang so verschieden sein können.

Wir sahen in dieser Hütte das Bild von wahrer Volksglückseligkeit realisiert, und Herr Hodges konnte sich nicht enthalten, verschiedene Zeichnungen zu entwerfen. Aller Insulaner Augen waren auf sein Zeichnen geheftet, aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie zwischen seiner Arbeit und den Gesichtszügen einiger ihrer Landsleute eine auffallende Ähnlichkeit gewahr wurden. Der alte Mann tat verschiedene Fragen an uns, z. E. wie der Eri oder Befehlshaber des Schiffes heiße, wie unser Land genannt werde, ob wir unsere Frauen bei uns hätten und dergleichen. Wir beantworteten seine Fragen und teilten hierauf Korallen, Medaillen und andere Kleinigkeiten aus, alsdann gingen wir weiter.

Nachdem wir etwa zwei Meilen gegangen waren, befanden wir uns an der See, die hier eine kleine Bucht ausmachte. Rings um uns waren überall Plantagen, und mitten auf einem Grasplatz fanden wir ein Marai, einen Begräbnisplatz, der aus drei Reihen von Steinen erbaut war. Vor dem Marai war eine Mauer aufgeführt, die etwa drei Fuß hoch war, und innerhalb dieser standen drei einsame Kokospalmen und einige junge Kasuarinen, die mit ihren herabhängenden Zweigen der ganzen Szene ein feierlich melancholisches Aussehen gaben. Nicht weit von diesem Marai sahen wir eine kleine Hütte (Tupapau), und unter dieser lag ein toter Körper, mit einem Stück weißen Zeuges bedeckt, das an den Seiten in langen Falten herabhing. Nahebei stand eine andere Hütte, darin ein Vorrat von Lebensmitteln für die Gottheit (Eatua) befindlich und unweit davon ein Pfahl aufgerichtet war, an dem ein in Matten eingewickelter Vogel hing. In der Hütte erblickten wir eine Frau, die in gedankenvoller Haltung da saß. Sie stand auf und winkte, daß wir nicht näherkommen sollten. Wir boten ihr von fern ein kleines Geschenk an, sie wollte es aber nicht annehmen, und wir erfuhren von unseren Begleitern, daß der tote Körper eine Frauensperson sei und daß die Frau vermutlich mit den Trauerzeremonien beschäftigt sei.
Auf dem Weg zum Wasserplatz, wo wir uns wieder einzuschiffen pflegten, kamen wir an einem geräumigen Hause vorbei, in dem ein sehr fetter Mann ausgestreckt lag. Zwei Bediente waren damit beschäftigt, den Nachtisch zuzubereiten. Sie stießen etwas Brotfrucht und Pisange in einem hölzernen Troge klein und gossen Wasser hinzu. Unterdessen setzte sich eine Frauensperson neben ihn und stopfte ihm von einem großen gebackenen Fisch und von Brotfrüchten jedesmal eine gute Handvoll ins Maul, welches er mit gefräßigem Appetit verschlang. Kaum würdigte er uns eines Seitenblicks, und einsilbige Wörter, die er zuweilen unterm Kauen hören ließ, waren nur Befehle an seine Leute, daß sie überm Hergucken nach uns das Füttern nicht vergessen möchten. Das große Vergnügen, das wir heute empfunden hatten, wurde durch den Anblick dieses vornehmen Mannes nicht wenig gemindert. Wir hatten uns bisher mit der angenehmen Hoffnung geschmeichelt, daß wir endlich einen Winkel der Erde ausfindig gemacht, wo eine ganze Nation einen Grad von Zivilisation zu erreichen und dabei doch eine gewisse frugale Gleichheit zu erhalten gewußt habe, dergestalt, daß alle Stände mehr oder minder gleiche Kost, gleiche Vergnügungen, gleiche Arbeit und Ruhe miteinander gemein hätten. Aber wie verschwand diese schöne Einbildung beim Anblick dieses trägen Wollüstlings, der sein Leben in der üppigsten Untätigkeit ohne allen Nutzen für die menschliche Gesellschaft ebenso schlecht hinbrachte wie jene privilegierten Schmarotzer in gesitteten Ländern, die sich mit dem Überfluß des Landes mästen, indes der fleißigere Bürger im Schweiße seines Angesichts darben muß. Die träge Üppigkeit dieses Insulaners glich gewissermaßen dem Luxus, der in Indien und anderen östlichen Ländern unter den Großen so allgemein im Schwange ist.
Während unserer Abwesenheit war der Tauschhandel wie gewöhnlich fortgeführt worden, und es hatte sich nichts Besonderes ereignet, außer daß Kapitän Cook einen seiner alten Bekannten, den Tuahau, wiedergetroffen hatte, der ihn auf der vorigen Reise, als er die ganze Insel mit einem Boot umschiffte, begleitet hatte. Bei unserer Rückkehr war er mit zwei Landsleuten noch an Bord, und sie waren gesonnen, die Nacht über bei uns zu bleiben. Tuahau überließ es seinen beiden unerfahrenen Landsleuten, das Schiff mit Verwunderung in Augenschein zu nehmen, er dagegen fing gleich eine lebhafte Unterredung mit uns an. Er fragte nach Tabane (Herrn Banks), Tolano (Dr. Solander), Tupaya und verschiedenen anderen Personen, die er ehemals gesehen und an deren Namen er sich erinnerte. Es freute ihn zu hören, daß Herr Banks und Dr. Solander noch wohlauf wären. Als er von Tupayas Ableben hörte, verlangte er zu wissen, ob er eines gewaltsamen oder natürlichen Todes gestorben sei, und es war ihm angenehm, aus unseren Worten und Zeichen entnehmen zu können, daß Krankheit seinem Leben ein Ende gesetzt habe. Wir unsererseits fragten, auf was für eine Art denn Tutaha, der während Kapitän Cooks vorigem Hiersein die Stelle eines höchsten Befehlshabers zu bekleiden schien, ums Leben gekommen sei. Davon wußte er nun ein langes und breites zu erzählen, welches wir der Hauptsache nach deutlich verstanden, die darauf hinauslief, daß zwischen ihm und dem alten Aheatua, dem Vater des jetzigen Königs auf Teiarrabu, ein großes Seetreffen vorgefallen sei, welches auf keiner Seite entscheidend gewesen. Tutaha sei dann mit seinem Heer über die Landenge gegangen, daselbst habe er ein hartnäckiges Gefecht geliefert und darin nebst vielen Leuten von Stande das Leben verloren. Bald nach Tutahas Tod sei mit O-Tu, der zuvor nur den Titel eines Regenten von Tahiti gehabt, nun aber zu wirklicher Würde gelangt war, Friede gemacht worden. Der alte Aheatua hatte aber die Früchte seines Sieges nicht lange genossen, da er wenige Wochen nach dem Friedensschlüsse gestorben, und nunmehr war ihm sein Sohn gleichen Namens in der königlichen Würde nachgefolgt.
Als Tuahau mit der Erzählung dieser Staatsgeschichte fertig war, legten wir ihm die Karte von Tahiti vor, die zu Kapitän Cooks voriger Reise in Kupfer gestochen worden war. Voller Freuden, eine Abbildung seines Vaterlandes zu sehen, zeigte er uns die Lage aller Distrikte und nannte sie in derselben Ordnung, wie sie auf der Karte dargestellt waren. Als er an den Distrikt O-Whai-urura gekommen war, erzählte er uns, daß in dem dortigen Hafen vor einiger Zeit ein Schiff angekommen sei und dort fünf Tage vor Anker gelegen habe. Die Mannschaft habe zehn Schweine von den Insulanern bekommen, und einer von den Bootsleuten, der von diesem Schiff entlaufen sei, halte sich jetzt noch auf der Insel auf. Wir vermuteten, daß dies ein spanisches Schiff gewesen sein müsse, um jedoch noch mehr Licht in der Sache zu bekommen, legten wir dem Tuahau noch manche Frage wegen dieses Schiffes vor, konnten aber nichts weiter herausbringen, als daß der entlaufene Matrose immer bei Aheatua sei und ihm angeraten habe, uns keine Schweine zukommen zu lassen. Was für Absichten dieser Mann hierbei auch gehabt haben mag, so scheint es doch der beste und freundschaftlichste Rat gewesen zu sein, den er seinem Beschützer hätte geben können. Der sicherste Weg, die Reichtümer seiner Untertanen im Lande zu behalten, wozu hier vor allen Dingen die Schweine gehören, und die beste Methode zu hindern, daß neue Bedürfnisse unter diesem glücklichen Volke entstehen möchten, war unfehlbar, uns so bald wie möglich zur Abreise zu nötigen, und hierzu war die Versagung der Nahrungsmittel, deren wir am meisten bedurften, das beste Mittel.

Am folgenden Tage brachten einige unserer Leute, die einen Spaziergang an der Küste gemacht hatten, die Nachricht mit an Bord, daß sie Aheatua angetroffen und daß er ausdrücklich in diesen Distrikt gekommen sei, um uns Audienz zu geben. Sie waren ohne Zeremonie vor ihn gelassen worden, und Seine Majestät hatten, mitten in Dero Hofhaltung, die Hälfte Ihres Stuhles unserem Steuermann Smith eingeräumt. Auch hatte er gnädigst verlauten lassen, daß es ihm lieb sein solle, den Kapitän Cook zu sehen, und daß er ihm eine beliebige Anzahl Schweine überlassen wolle, wenn dieser für jedes Schwein ein Beil zu geben gesonnen sei. Das war nun allerdings die erfreulichste Nachricht, die wir seit langer Zeit gehört hatten. Unsere Leute wollten bei dieser Gelegenheit auch einen Mann bemerkt haben, der der Farbe und Gesichtsbildung nach einem Europäer ähnlich gewesen, auf ihre Anrede aber unter dem großen Haufen verschwunden sei. Ob es nun wirklich ein Europäer gewesen, können wir nicht bestimmen. Soviel aber ist gewiß, daß keiner von uns ihn jemals nachher zu sehen bekommen hat.

Um von Aheatuas guter Gesinnung gleich Gebrauch zu machen, begaben sich die Kapitäne mit einigen Offizieren, dazu Dr. Sparman, mein Vater und ich am anderen Morgen früh ans Land. Opao, einer der Insulaner, die über Nacht an Bord geblieben waren, diente uns als Führer und riet uns, längs dem Flusse, an dem die Wasserfässer gefüllt wurden, hinaufzugehen. Als wir ungefähr eine Meile zurückgelegt haben mochten, trafen wir einen großen Haufen Menschen an, die alle ihre Oberkleider hatten herunterfallen lassen, um die Schultern zu entblößen, welche Ehrenbezeigung nur dem König widerfährt. Wir vermuteten daher, daß er in der Nähe sein müsse, und fanden ihn auch bald mitten in dem Haufen. Aheatua erinnerte sich Cooks, sobald er seiner ansichtig wurde, und machte gleich Platz für ihn auf seinem Stuhl, während wir anderen uns auf große Steine niederließen. Kaum hatten wir Platz genommen, so drängte sich von allen Seiten eine unzählbare Menge von Insulanern herbei und schloß uns in einen sehr engen Kreis ein, in dem es bald so heiß wurde, daß des Königs Bediente die Leute oft mit Schlägen zurücktreiben mußten, um uns Luft zu schaffen.

Aheatua, König von Tahiti-iti (Klein-Tahiti), sonst Teiarrabu genannt, war ein junger Mann von siebzehn bis achtzehn Jahren, wohlgebaut und bereits 5 Fuß 6 Zoll groß. Es war etwas Sanftes, aber Unbedeutendes in seinen Mienen, und sie drückten Furcht und Mißtrauen aus, welches freilich zur Majestät nicht paßt, sondern oft das Kennzeichen eines bösen Gewissens und unrechtmäßiger Herrschaft ist. Er war heller von Farbe als seine Untertanen und hatte langes, lichtbraunes Haar. Seine ganze Kleidung bestand nur in einer breiten Schärpe (Marro) vom feinsten weißen Zeug, die von den Hüften bis auf die Knie herabreichte. Neben ihm saßen einige Befehlshaber, die sich durch ihre große und dicke Statur auszeichneten, ein Vorzug, den diese Klasse ihrer trägen Lebensart und wohlbesetzten Tafel zu verdanken hat. Einer von ihnen war auf eine sonderbare Weise punktiert, es waren nämlich seine Arme, Beine, Schenkel und Seiten über und über mit großen schwarzen Flecken von allerhand Gestalt bedeckt. Eben dieser Mann, der E-Tie hieß, war auch wegen seiner Korpulenz auffallend und schien überdies beim König in besonderem Ansehen zu stehen. Solange der König auf seinem Stuhl saß, betrug er sich ungleich ernsthafter und steifer, als man es von seiner Jugend hätte erwarten können. Es schien aber ein einstudiertes und angenommenes Wesen zu sein, durch welches unsere Audienz ein feierliches Ansehen bekommen sollte. Bei einigen altfränkischen Staatsmännern möchte ihm das vielleicht als Verdienst angerechnet werden, es war aber im Grunde nichts anderes als eine Maskerade von Heuchelei und Verstellung, die wir zu Tahiti kaum erwartet hatten.

Nach der ersten Begrüßung überreichte Kapitän Cook dem Aheatua ein Stück roten Boy, ein Bettlaken, eine breite Zimmeraxt, ein Messer, Nägel, Spiegel und Korallen. Mein Vater gab ihm ähnliche Geschenke, unter anderem eine Aigrette von scharlachrot gefärbten Federn, die an einer Zitternadel befestigt waren. Beim Anblick derselben brach die ganze Versammlung in ein bewunderndes Au-wäh aus. Der König fragte nunmehr nach Herrn Banks, sodann erkundigte er sich, wie lange wir bleiben würden, und gab dabei zu verstehen, daß es ihm lieb sein sollte, wenn wir fünf Monate verweilen wollten. Kapitän Cook antwortete, daß er unverzüglich wieder absegeln müsse, weil nicht genug Lebensmittel zu bekommen seien. Der König schränkte also seine Bitte auf einen Monat und endlich auf fünf Tage ein. Da aber Kapitän Cook bei seiner vorigen Erklärung blieb, versprach Aheatua uns am folgenden Tage Schweine zu schicken. Dergleichen Versprechungen waren uns indessen mehr als einmal gemacht worden, wir rechneten also auch jetzt nicht darauf.

Während dieser Unterredung mit dem König wurde das umherstehende gemeine Volk zuweilen so überlaut, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte. Die Bedienten des Königs mußten denn auch mehrmals mit durchdringender Stimme »Mamu!« (still) rufen und diesem Befehl mit tüchtigen Stockschlägen Nachdruck geben. Als der König sah, daß Kapitän Cook die Zeit seines Hierbleibens nicht verlängern wollte, stand er auf und sagte, er werde uns bis zum Strand begleiten. Nun legte er seine angenommene Ernsthaftigkeit ab und unterhielt sich auf dem Wege mit unseren gemeinsten Matrosen ganz vertraut. Mich bat er, alle Namen zu nennen, und er fragte mich, ob sie ihre Weiber an Bord hätten. Als ich darauf mit nein antwortete, riet Seine Majestät ihnen mit guter Laune, sie möchten unter den Töchtern des Landes wählen, man sah aber diese Einladung für ein bloßes Kompliment an. Als wir bald darauf an einem Hause vorbeikamen, setzte er sich im Schatten nieder, und auch wir suchten Schutz vor der Sonne. Er forderte einige Kokosnüsse und fing an, von dem spanischen Schiff zu sprechen, wovon uns Tuahau die erste Nachricht gegeben hatte. Nach seiner Erzählung war das Schiff fünf Monate vorher zu Whai-Urua gewesen und hatte sich dort zehn Tage lang aufgehalten. Er setzte hinzu, der Kapitän habe vier von seinen Schiffsleuten aufhängen lassen, ein fünfter aber sei dieser Strafe entlaufen. Wir fragten nach diesem Europäer, den sie O-Pahutu nannten, konnten aber nichts aus ihm herausbringen, und da es endlich die Hofschranzen Sr. Majestät merkten, daß wir uns so genau und ängstlich nach diesem Mann erkundigten, versicherten sie uns, er sei tot.

Während wir uns in diesem Hause ausruhten, fragte E-Tie, der dicke Mann, ob wir in unserem Lande einen Gott hätten und ob wir ihn anbeteten. Als wir ihm antworteten, daß wir einen Gott erkennten, der alles erschaffen habe, aber unsichtbar sei, und daß wir gewohnt seien, unsere Gebete und Bitten an ihn zu richten, schien er höchlichst erfreut darüber und wiederholte es seinen Landsleuten, die um ihn saßen. Hierauf wandte er sich wieder an uns und sagte, daß seiner Landsleute Begriffe in diesem Stück mit den unsrigen übereinstimmten. Während O-Tie von Religiongsdingen sprach, spielte König Aheatua mit Kapitän Cooks Taschenuhr. Er betrachtete die Räder, die sich von selbst zu bewegen schienen, mit großer Aufmerksamkeit. Erstaunt über ihr Geräusch, das er nicht begreifen konnte, gab er sie zurück mit der Bemerkung, sie »spräche«, und er fragte dabei, wozu das Ding gut sei. Mit viel Mühe machte man ihm begreiflich, daß wir sie brauchten, um die Tageszeit daran zu erkennen, die er aus dem Stand der Sonne zu schätzen gewohnt sei. Nach dieser Erklärung nannte er sie eine kleine Sonne, um damit anzudeuten, daß er uns völlig verstanden habe.

Wir waren eben im Begriff, nach dem Strande zurückzukehren, als ein Mann mit einem Schwein ankam, das der König dem Kapitän mit der Versicherung schenkte, daß er noch eins bekommen solle. Mit diesem bescheidenen Anfang waren wir vorerst zufrieden und beurlaubten uns nunmehr von Sr. Majestät mit einem herzlichen Tayo.
Nachmittags gingen die Kapitäne abermals mit uns zum König. Er bat uns von neuem, daß wir wenigstens noch ein paar Tage bleiben möchten. Man sagte ihm aber gerade heraus, daß wir abreisen würden, weil er uns nicht mit lebendem Vieh versorgen wolle. Hierauf ließ er sogleich zwei Schweine herbeibringen und schenkte jedem Kapitän eins, welche Freigebigkeit durch allerlei Eisengeräte erwidert wurde. Zur Unterhaltung Sr. Majestät ließen wir einen unserer Seesoldaten, einen Bergschotten, auf dem Dudelsack spielen, und obgleich seine rauhe Musik unseren Ohren fast unausstehlich war, so fanden doch der König und die ganze Versammlung großes Vergnügen daran. Das Mißtrauen, welches er bei unserer ersten Unterredung hatte durchblicken lassen, war nun verschwunden. Das gezwungen gravitätische Wesen wurde ganz beiseite gelassen, ja einige seiner Beschäftigungen kamen beinahe kindisch heraus. Um nur ein Beispiel davon anzuführen, so fanden Seine Majestät ein hohes Wohlgefallen daran, mit einem unserer Beile kleine Stöcke zu zerhacken und junge Pisangpflanzen abzuhauen. Ungeachtet wir aber nun hoffen konnten, daß er im Ernst Anstalten machen würde, uns mit einem Vorrat von Schweinen zu versorgen, wollten wir es doch nicht auf den bloßen Anschein hin wagen, länger hierzubleiben, und gegen Abend nahmen wir Abschied von ihm, kehrten an Bord zurück und lichteten die größeren Anker.

Da die Einwohner am folgenden Morgen sahen, daß wir die Segel in Ordnung brachten und andere Anstalten zur Abreise machten, kamen sie haufenweise in kleinen Kanus voller Kokosnüsse an die Schiffe, um alles zu sehr geringen Preisen zu verkaufen. Der Geschmack an Kleinigkeiten und Spielzeug ging so weit, daß die Leute ein Dutzend der schönsten Kokosnüsse für eine einzige Glaskoralle hingaben. Sie begleiteten uns bis ein paar Meilen außerhalb des Riffs und kehrten dann erst zum Strand zurück, wo wir den Leutnant Pickersgill mit einem Boot zurückgelassen hatten, um auch unsererseits von der Neigung, die das Volk jetzt zum Handel zeigte, noch einigen Gebrauch zu machen.
Da wir nun gleichsam von neuem uns selbst überlassen waren, konnte man sich ein wenig erholen und einmal wieder zu Atem kommen. Diese Ruhe war uns um so willkommener, da sie uns Zeit gab, den mancherlei Betrachtungen nachzuhängen, zu denen wir während unseres Hierseins so vielfältigen Stoff gesammelt hatten. Nach allem, was wir auf dieser Insel gesehen und erfahren hatten, dünkte sie uns einer der glücklichsten Winkel der Erde zu sein. Zwar waren uns auch die öden Felsen von Neuseeland so vorteilhaft ins Gesicht gefallen, allein diese ersten Eindrücke waren auch bald wieder verschwunden. Bei Tahiti hingegen verhielt es sich umgekehrt. Die Insel sah nicht nur von fern reizend aus, sondern je näher wir kamen, desto schöner wurde sie. Je länger wir blieben, desto mehr wurden die Eindrücke des ersten Anblicks bestätigt, obschon wir hier wegen der Ernährung schlimmer dran waren, da es auf Neuseeland größeren Überfluß an Fischen und Vögeln gab.
Mitten in solchen Betrachtungen wurden wir zu Tisch gerufen, wo ein Gericht Schweinefleisch unser wartete. Die Eilfertigkeit, mit der wir uns dorthin begaben, und der gute Appetit, den wir bei dieser Schüssel bewiesen, zeigten deutlich, daß uns lange danach verlangt hatte. Es wunderte uns, daß dies Fleisch nichts von dem geilen Geschmack hatte, den es wohl in Europa zu haben pflegt. Das Fett war mit Mark zu vergleichen, und das Magere schmeckte fast so zart wie Kalbfleisch. Dieser Unterschied rührt vermutlich daher, daß die tahitischen Schweine mit nichts als Früchten gefüttert werden. Sie sind von der kleinen, chinesischen Art und haben keine hängenden, lappigen Ohren, die Graf Buffon (berühmter französischer Naturforscher) als Kennzeichen der Sklaverei unter den Tieren ansieht. Auch waren sie reinlicher und müssen sich wohl nicht so im Schlamm herumzuwälzen pflegen. Dieses Vieh gehört zwar zu den wirklichen Reichtümern Tahitis, doch darf man es nicht für einen Hauptartikel des Unterhaltes halten, denn die ganze Tierart könnte ausgerottet werden, ohne daß die Nation im Ganzen dabei verlöre, weil sie nämlich den Großen des Landes allein und ausschließlich zugehören. Man schlachtet nur selten welche, ja vielleicht nie anders als bei festlichen Gelegenheiten, aber dann verschlingen die Vornehmen das Fleisch mit ebensoviel Gier, wie gewisse Leute in England (Aldermen of London) bei einem guten Schildkrötenschmause bezeigen sollen. Der gemeine Mann kriegt äußerst selten davon zu kosten, und es bleibt ein Leckerbissen für ihn, obschon gerade diese Klasse des Volkes die Mühe allein auf sich nimmt, sie zu warten und zu mästen.

Gegen Abend fiel eine Windstille ein, die bis zum Morgen anhielt, alsdann bekamen wir Südostwind und mit dessen Hilfe bald den nördlichen Teil von Tahiti, ingleichen die dabeiliegende Insel Eimeo zu Gesicht. Die Berge bildeten hier größere Massen und fielen daher schöner ins Auge als zu Aitepieha. Die niedrigeren Berge waren nicht so steil, aber allenthalben ohne Bäume und Grün; auch die Ebene war weitläufiger und schien an manchen Orten über eine Meile breit zu sein. Gegen zehn Uhr hatten wir das Vergnügen, verschiedene Kanus vom Lande herankommen zu sehen. Ihre langen, schmalen Segel, ihre Federwimpel und die trefflichen Kokosnüsse und Pisangfrüchte, wovon hochgetürmte Haufen aus den Booten hervorragten, machten einen schönen, malerischen Anblick aus. Sie überließen uns ihre Ladungen für wenige Korallen und Nägel und kehrten gleich wieder nach dem Ufer zurück, um mehr zu holen. Gegen Mittag kam auch unser Boot mit dem Leutnant Pickersgill. Er war bei seinem Einkauf zu Aitepieha sehr glücklich gewesen und brachte neun Schweine und viele Früchte mit. Des Königs Majestät waren die ganze Zeit auf dem Marktplatz geblieben, hatten sich neben den Eisenwaren hingesetzt und sich ausgebeten, für uns mit den Untertanen zu handeln; waren dabei auch sehr billig zu Werke gegangen, indem sie für größere und kleinere Beile auch größere und kleinere Schweine gegeben hatten.

Mit Hilfe einer gelinde wehenden Landluft näherten wir uns dem Ufer und betrachteten die Schönheiten der Landschaft, die vom blendenden Schein der Sonne gleichsam vergoldet vor uns lag. Schon konnten wir jene weit hervorragende Landspitze erkennen, die wegen der ehemals darauf gemachten Beobachtungen Point Venus genannt war, und es kostete uns keine Schwierigkeit, denen, die bereits vor uns hier gewesen waren, auf ihr Wort zu glauben, daß dies der schönste Teil der Insel sei. Der Distrikt von Matavai, der nunmehr vor uns lag, zeigte uns eine ungleich weitläufigere Ebene, als wir erwartet hatten, und das holzreiche Tal, das zwischen den Bergen hinauflief, nahm sich im Vergleich zu den kleinen, engen Klüften und Bergriesen von Teiarrabu als ein beträchtlich großer Wald aus. Es mochte ungefähr 3 Uhr nachmittags sein, als wir um vorgedachte Landspitze herumkamen. Das Ufer war überall voller Menschen, die uns mit größter Aufmerksamkeit betrachteten, aber Hals über Kopf davonliefen, sobald sie sahen, daß wir in der Bai vor Anker gingen. Sie rannten längs dem Strande, über den One Tree-Hill weg, nach O-Parre, dem nächsten gegen Westen gelegenen Distrikt hin, als ob sie vor uns flüchteten. Unter dem ganzen Haufen erblickten wir nur einen einzigen Mann, der nach hiesiger Landessitte vollständig gekleidet war, und unseres Freundes O-Wahaus Aussage nach sollte dies O-Tu selbst, der König von O-Tahiti-Nue oder Groß-Tahiti sein. Er war sehr groß und wohlgebaut, lief aber sehr eilfertig davon, welches die Insulaner an Bord so deuteten, daß er sich vor uns fürchte.

Obgleich die Sonne untergehen wollte, als wir die Anker warfen, waren unsere Decks gar bald mit Eingeborenen angefüllt. Viele erkannten ihre alten Freunde unter den Offizieren und Matrosen mit einer gegenseitigen Freude, die sich nicht beschreiben läßt. Unter diesen war auch der alte, ehrwürdige O-Whaa, dessen Freundschaftsdienste in Kapitän Cooks erster Reise bei Gelegenheit eines unangenehmen Vorfalls rühmlichst erwähnt worden sind, als die Seesoldaten einen Insulaner erschossen hatten. Sobald er Herrn Pickersgill sah, erinnerte er sich augenblicklich seiner, nannte ihn bei seinem tahitischen Namen Petrodero und rechnete ihm an den Fingern vor, es sei nun das drittemal, daß er auf die Insel komme. Herr Pickersgill war auch wirklich mit Kapitän Wallis und bereits auf Kapitän Cooks erster Reise hier gewesen. Ein vornehmer Mann namens Maratata besuchte Kapitän Cook mit seiner Gemahlin, einer jungen, hübschen Person. Man schenkte ihnen eine Menge Sachen, die sie jedoch nicht verdienten, weil sie beide bloß in dieser eigennützigen Absicht an Bord gekommen zu sein schienen. Ebenso begünstigte das Glück auch Maratatas Schwiegervater, einen großen, dicken Mann, der sich von jedermann etwas erbettelte. Zum Zeichen der Freundschaft wechselten sie ihre Namen mit den unsrigen. Diese Gewohnheit hatten wir auf unserem vorigen Ankerplatz nicht bemerkt, denn dort waren die Eingeborenen vorsichtiger und zurückhaltender gewesen. Um 7 Uhr verließen die meisten das Schiff, versprachen aber, am folgenden Morgen wiederzukommen.

Der Mond schien die ganze Nacht sehr hell. Sanfte Stille herrschte rings um uns her, nur hier und da hörte man einen Insulaner plaudern, deren etliche an Bord geblieben waren. Sie sprachen von allerlei Dingen und machten sich durch Zeichen verständlich, wenn es mit Worten nicht gelingen wollte. Sie fragten, wie es unseren Leuten seit ihrer letzten Abreise von hier ergangen sei. Gibson, ein Seesoldat, dem die Insel so wohl gefallen, daß er es bei Kapitän Cooks letzter Reise darauf anlegte, hierzubleiben, hatte den meisten Anteil an der Unterredung, denn er verstand von der Landessprache mehr als sonst einer von uns. Die Leute zeigten hier noch mehr Vertrauen und Freimut als zu Aitepieha, und dies gereichte ihnen in unseren Augen zu desto größerer Ehre, als sich daraus entnehmen ließ, daß sie die ehemaligen Beleidigungen vergessen hatten und ihr gutes, unverdorbenes Herz auch nicht eines Gedankens von Rachsucht oder Bitterkeit fähig sei. Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß Menschenliebe dem Menschen natürlich ist und die Begriffe von Mißtrauen, Bosheit und Rachsucht nur Folgen einer allmählichen Verderbnis der Sitten sind. Man findet auch in der Tat nur wenig Beispiele vom Gegenteil, daß nämlich Völker, die nicht ganz bis zur Barbarei herabgesunken, der Liebe zum Frieden, diesem allgemeinen Grundtriebe des Menschen, zuwider gehandelt haben sollten. Was Columbus, Cortez und Pizarro bei ihren Entdeckungen in Amerika, und was Mendaña, Quiros, Schouten, Tasman und Wallis in der Südsee hierüber erfahren haben, das stimmt mit unserer Behauptung völlig überein. Selbst der Angriff, den die Tahitier ehemals auf den »Delphin« (das Schiff des Kapitäns Wallis) richteten, widerspricht dem nicht. Selbsterhaltung ist das erste Gesetz der Natur, und der Anschein berechtigte die Insulaner, unsere Leute für ungebetene Gäste und für den angreifenden Teil zu halten, ja mehr als das, sie hatten Grund genug, um ihre Freiheit besorgt zu sein. Als sie endlich die traurigen Wirkungen der europäischen Übermacht empfunden und man ihnen zu verstehen gegeben hatte, daß das Schiff nur einige Erfrischungen aufnehmen und nur kurze Zeit hierbleiben werde, als sie einsahen, daß die Fremden nicht ganz unmenschlich und daß Briten nicht wilder und barbarischer seien als sie selbst, da waren sie auch gleich bereit, die Fremdlinge mit offenen Armen zu empfangen und sie freigebig an den Naturgütern der Insel teilnehmen zu lassen. 

Hans Christian Andersen - Unter dem Weidenbaum

Die Gegend ist kahl bei Kjöge; die Stadt liegt wohl am Meere, und das ist stets etwas Schönes, aber es könnte doch noch schöner dort sein, als es ist. Ringsum liegt flaches Feld und weit, weit ist es bis zum Walde. Wenn man aber an einem Orte erst richtig zu Hause ist, so findet man immer etwas Schönes, etwas, wonach man sich auch an den herrlichsten Orten der Welt sehnen kann! Und wir müssen auch anerkennen, daß es am Rande der Stadt Kjöge, wo ein paar kleine dürftige Gärten sich hinunter erstrecken bis an den Bach, der ins Meer fließt, zur Sommerszeit gar lieblich sein konnte. Das fanden besonders die zwei kleinen Nachbarkinder, Knut und Johanne, die hier spielten und unter den Stachelbeerbüschen hindurch zueinanderkrochen. In dem einen Garten stand ein Holunderbusch, in dem anderen ein alter Weidenbaum; unter diesem spielten die Kinder ganz besonders gern, und dazu hatten sie auch Erlaubnis, obwohl der Baum ganz dicht am Bache stand, wo sie leicht hätten ins Wasser fallen können. Aber der liebe Gott hat seine Augen über den Kleinen, sonst sähe es schlimm aus. Sie waren auch sehr vorsichtig, ja, der Knabe hatte solche Angst vor dem Wasser, daß er auch zur Sommerszeit nicht zu bewegen war, an den Strand hinunter zu kommen, wo doch die anderen Kinder so gern ins Wasser laufen und plantschen. Er hatte viel Spott darüber zu erdulden, und das mußte er sich gefallen fassen. Aber da träumte des Nachbars kleine Johanne, sie habe in einem Boot in der Bucht von Kjöge gesegelt und Knud sei gerade auf sie zugegangen; zuerst habe ihm das Wasser nur bis an den Hals gereicht, aber dann sei es ihm über dem Kopfe zusammengeschlagen. Und von dem Augenblick an, als Knud diesen Traum gehört hatte, duldete er es nicht länger, daß man ihn wasserscheu schalt, sondern wies auf Johannes Traum hin; der war sein Stolz, aber ins Wasser ging er nicht.
Die armen Eltern kamen häufig zusammen und Knud und Johanne spielten in den Gärten und auf der Landstraße, die an beiden Seiten von Gräben, an denen eine ganze Reihe von Weidenbäumen stand, eingefaßt war. Schön waren sie nicht, die Kronen waren ihnen abgehauen, aber sie standen ja auch nicht zum Staat da, sondern um Nutzen zu schaffen. Schöner war die alte Weide im Garten, und unter dieser saßen sie manch liebes Mal.
In Kjöge wird ein großer Jahrmarkt abgehalten, und zur Marktzeit stehen dort ganze Straßen von Zeltbuden mit seidenen Bändern, Stiefeln und allem möglichen. Es herrschte Gedränge und gewöhnlich auch Regenwetter, und dann machte sich der Dunst der Bauernröcke, aber auch der herrliche Geruch von Honigkuchen bemerkbar. Davon war eine ganze Bude voll da, und was das prächtigste war, der Mann, der sie verkaufte, logierte sich während der Marktzeit stets bei den Eltern des kleinen Knud ein, und dabei fiel natürlich auch ein kleiner Honigkuchen ab, wovon auch Johanne ihr Stückchen bekam. Aber fast noch schöner war es, daß der Honigkuchenhändler Geschichten erzählen konnte, und zwar fast von einer jeden Sache, sogar von seinen Honigkuchen; ja, von diesen erzählte er eines Abends eine Geschichte, die einen gar tiefen Eindruck auf die beiden Kinder machte, so daß sie sie seither niemals wieder vergaßen, und deshalb ist es wohl das beste, wenn wir sie auch hören, besonders, da sie nur kurz ist.
"Da lagen auf dem Tische zwei Honigkuchen," erzählte er, "der eine hatte die Gestalt eines Mannes mit einem Hut, der andere die einer Jungfrau ohne Hut, aber mit einem Streifchen Schaumgold auf dem Kopfe. Sie trugen das Gesicht auf der Seite, die nach oben lag, und von dort sollte man sie auch sehen und nicht von der Kehrseite aus, von wo man nie einen Menschen ansehen soll. Der Mann hatte eine bittere Mandel links, das war sein Herz, die Jungfrau dagegen war durch und durch aus Honigkuchen. Sie lagen als Proben auf dem Tische. Dort lagen sie lange, und so liebten sie sich; aber der eine sagte es nicht zum anderen, und das muß sein, wenn etwas daraus werden soll.
"Er ist ein Mann, er muß das erste Wort sprechen!" dachte sie, aber sie wäre doch vergnügt gewesen, wenn sie nur gewußt hätte, ob ihre Liebe erwidert würde.
Er trug sich mit begierigeren Gedanken, das tun ja die Mannsleute immer; er träumte, er sei ein lebendiger Straßenjunge, der vier Schillinge besäße, damit kaufte er die Jungfrau und verschlänge sie.
Und sie lagen Tage und Wochen hindurch auf dem Tische; sie wurden trocken und der Jungfrau Gedanken wurden feiner und weiblicher: "Es ist mir genug, daß ich auf einem Tische mit ihm zusammen gelegen habe!" dachte sie und brach mitten durch. "Hätte sie von meiner Liebe gewußt, dann hätte sie wohl länger gehalten" dachte er. "Und das ist die Geschichte, und das sind die beiden" sagte der Kuchenhändler. "Sie sind bemerkenswert durch ihren Lebenslauf und ihre stumme Liebe, die niemals zu etwas führt. Seht, da habt Ihr sie!" und dann gab er Johanne den Mann, der noch ganz war, und Knud bekam die gebrochene Jungfrau; aber sie waren so benommen von der Geschichte, daß sie nicht daran denken konnten, das Liebespaar zu verspeisen.
Am nächsten Tage gingen sie mit ihnen auf den Kirchhof, wo die Kirchenmauern mit dem herrlichsten Efeu besponnen waren, der Winter und Sommer wie ein reicher Teppich darüber hing. Sie stellten die Honigkuchen ins Grüne hinauf in den Sonnenschein und erzählten einer Schar anderer Kinder von der stummen Liebe, die zu nichts gut ist, das heißt die Liebe, denn die Geschichte fanden sie alle gar hübsch, und als sie nun auf das Honigpaar schauten, ja, da hatte ein großer Junge - aus Bosheit hatte er es getan, die gebrochene Jungfrau verspeist. Die Kinder weinten darüber und nachher - es geschah sicherlich nur, damit der arme Mann nicht so einsam auf der Welt bleiben sollte - verspeisten sie ihn auch, aber nie vergaßen sie die Geschichte. Immer waren die Kinder zusammen unter dem Holunderbusch oder unter dem Weidenbaum, und das kleine Mädchen sang mit silberglockenheller Stimme die lieblichsten Lieder. Knud war für die Musik verloren, aber er konnte die Worte, die zu den Liedern gehörten, und das ist immerhin etwas. - Die Leute in Kjöge, selbst die Eisenkrämerin, standen stille und hörten Johanne zu. "Sie hat doch ein süßes Stimmchen, die Kleine" sagte sie.
Das waren schöne Tage, aber sie währten nicht ewig. Die Nachbarn mußten von einander scheiden. Des kleinen Mädchens Mutter war gestorben, der Vater wollte sich in Kopenhagen wieder verheiraten. Er konnte dort einen guten Broterwerb bekommen; er sollte als Bote angestellt werden und das war ein sehr einträgliches Amt. Die Nachbarn schieden unter Tränen, und besonders die Kinder weinten bitterlich; aber die Alten versprachen, einander zu schreiben, und zwar mindestens einmal im Jahre. Knud kam in die Schuhmacherlehre, die Eltern konnten ihn nicht länger gehen und die Zeit vergeuden lassen. Und so wurde er nun eingesegnet.
O, wie gern wäre er an diesem Festtage nach Kopenhagen gekommen, um die kleine Johanne wiederzusehen; doch er kam nicht hin und war auch nie dort gewesen, obgleich es nur fünf Meilen von Kjöge entfernt liegt; aber die Türme hatte Knud bei klarem Wetter über die Bucht ragen sehen, und am Einsegungstage sah er deutlich das goldene Kreuz auf der Frauenkirche leuchten.
Ach, wie oft dachte er an Johanne. Ob sie sich seiner erinnerte? Ja, aber freilich! - Zur Weihnachtszeit kam ein Brief von ihrem Vater an Knuds Eltern, darin stand, daß es ihnen in Kopenhagen recht gut ginge, und daß Johanne ein wahres Glück in ihrer Stimme zuteil geworden wäre. Sie sei beim Theater angestellt worden, dort, wo man singt; ein wenig Geld bekäme sie auch schon dafür, und von diesem sende sie den lieben Nachbarsleuten einen ganzen Reichstaler, um sich einen vergnügten Weihnachtsabend davon zu machen; sie sollten auf ihr Wohl trinken, das hatte sie mit eigener Hand in einer Nachschrift hinzugefügt und darin stand auch: "Freundlichen Gruß an Knud!"
Da weinten sie alle zusammen, trotzdem das Ganze ja nur erfreulich war, aber sie weinten ja auch vor Freude. Jeden Tag war Johanne in seinen Gedanken gewesen und nun sah er, daß sie auch an ihn dachte, und je mehr die Zeit herannahte, wo er Geselle werden sollte, desto klarer stand es vor seiner Seele, daß er Johanne lieb habe und daß sie seine kleine Frau werden solle. Dann spielte wohl ein Lächeln um seinen Mund und er zog den Draht hurtiger, während das Bein den Spannriemen anspannte. Er stach sich den Pfriem mitten durch den einen Finger, aber das tat nichts. Er würde gewiß nicht stumm sein wie die beiden Honigkuchen, diese Geschichte war ihm eine Lehre gewesen.
Dann wurde er Geselle und schnürte sein Ränzel. Endlich sollte er zum ersten Mal in seinem Leben nach Kopenhagen, dort hatte er schon einen Meister. Und wie froh und überrascht Johanne sein würde. Sie war jetzt siebzehn Jahre und er war neunzehn.
Er wollte schon in Kjöge einen Goldreif für sie kaufen, aber er bedachte, daß man wohl in Kopenhagen weit schönere bekommen würde Dann wurde Abschied von den beiden Alten genommen und hurtig wanderte er von dannen durch Herbst und Wind und Wetter. Die Blätter fielen von den Bäumen, und bis auf die Haut durchnäßt kam er in das große Kopenhagen und zu seinem neuen Meister.
Am ersten Sonntag wollte er Johannes Vater einen Besuch machen. Die neuen Gesellenkleider zog er an, dazu den neuen Hut noch aus Kjöge, der ihn so gut kleidete, denn vorher war er immer mit einer Mütze gegangen. - Er fand das Haus, das er suchte und stieg die vielen Treppen hinauf; es war um schwindelig zu werden, wie die Menschen hier in dieser großen Stadt, in der man sich so leicht verirren konnte, übereinandergepfercht waren.
Die Stube machte einen recht wohlhabenden Eindruck, und freundlich empfing ihn Johannes Vater. Der zweiten Frau war er ja ein Fremder, aber sie reichte ihm die Hand und lud ihn zum Kaffee.
"Johanne wird sich freuen, Dich zu sehen" sagte der Vater, "Du bist ja ein prächtiger Junge geworden! - Ja, nun sollst Du sie gleich zu sehen bekommen! Sie ist ein Mädchen, an dem ich meine Freude habe und mit Gottes Beistand werde ich auch noch mehr an ihr erleben! Sie hat ihr eigenes Zimmer, dafür bezahlt sie uns Miete." Dann klopfte der Vater selbst höflich an ihre Tür, als sei er ein Fremder, und dann traten sie ein. Nein, wie reizend sah es hier aus. Solch ein Zimmer war gewiß in ganz Kjöge nicht zu finden, die Königin konnte es nicht hübscher haben. Da waren Teppiche, da waren Gardinen, die bis zur Erde hinab reichten, sogar ein wirklicher Samtsessel stand da und ringsum Blumen und Gemälde, und ein Spiegel, in den man versucht war, hineinzulaufen, denn er war so groß wie eine Tür. Knud sah alles mit einem Blick und sah doch nur Johanne, die nun als erwachsenes Mädchen vor ihm stand; ganz anders war sie, als Knud sie sich gedacht hatte, aber viel schöner. Es gab kein Mädchen in Kjöge, das ihr gleich gekommen wäre; wie war sie zart und fein. Aber wie sonderbar fremd blickte sie Knud an, doch nur einen Augenblick lang, dann flog sie ihm entgegen, ganz als ob sie ihn küssen wollte; sie tat es zwar nicht, aber viel hatte nicht daran gefehlt. Ja, sie war herzensfroh, ihren Jugendfreund wiederzusehen. Die Tränen standen ihr in den Augen, und dann hatte sie soviel zu fragen und zu erzählen, von Knuds Eltern bis zum Holunderstrauch und Weidenbaum, den sie Fliedermütterchen und Weidenväterchen nannte, ganz als ob sie auch Menschen wären, und dafür konnten sie ja ebensogut gelten, wie es früher die Honigkuchen gegolten hatten. Von ihnen sprach sie auch, von ihrer stummen Liebe, wie sie auf dem Tische lagen und dann den Weg alles Irdischen gegangen waren, und dabei lachte sie so herzlich. - Aber das Blut brannte Knud in den Wangen und sein Herz schlug schneller als sonst! - Nein, sie war gar nicht hochmütig geworden. - Und um ihretwillen, das merkte er wohl, baten ihn auch ihre Eltern, den Abend über dazubleiben, und sie schenkte den Tee ein und bot ihm selbst eine Tasse an; später nahm sie ein Buch und las laut daraus vor, und es war Knud, als handele das, was sie vorlas, gerade von seiner eigenen Liebe, so sehr stimmte es mit allen seinen Gedanken überein. Und dann sang sie ein einfaches Lied, aber in ihrem Munde wurde es zu einer ganzen Geschichte, es war, als ströme ihr eigenes Herz darin über. Ja, gewiß hatte sie Knud auch lieb. Die Tränen liefen ihm über die Wangen herab, er konnte ihnen nicht gebieten und konnte auch kein einziges Wort sprechen. Es schien ihm selbst, daß er sich recht dumm benehme, und doch drückte sie seine Hand und sagte: "Du hast ein gutes Herz, Knud! Bleib immer wie Du bist"
Es war ein unaussprechlich schöner Abend, er war gar nicht dazu angetan, um danach zu schlafen, und Knud schlief auch nicht. Beim Abschied hatte Johannes Vater gesagt: "Nun vergißt Du uns wohl auch nicht ganz! Laß uns sehen, daß Du nicht den ganzen Winter vergehen läßt, bevor Du wieder einmal nach uns siehst!"
Und so konnte er wohl gut am Sonntag wiederkommen! Das wollte er bestimmt. Aber jeden Abend nach der Arbeit, und sie arbeiteten bei Licht, ging Knud in die Stadt. Er ging durch die Straße, wo Johanne wohnte, und sah zu ihrem Fenster hinauf. Dort war fast immer Licht, und eines Abends sah er ganz deutlich den Schatten ihres Gesichts auf der Gardine; das war ein schöner Abend! Die Meisterin sah es nicht gern, daß er des Abends immer umherstrich, wie sie es nannte, und sie schüttelte den Kopf darüber, aber der Meister lachte: "Es ist ein junger Mensch!" sagte er.
"Am Sonntag sehen wir uns, und dann sage ich ihr, wie alle meine Gedanken von ihr erfüllt sind, und daß sie meine kleine Frau werden soll! Ich bin ja nur ein armer Schuhmachergesell, aber ich kann Meister werden, und ich werde arbeiten und streben. Ja, ich sage es ihr, bei der stummen Liebe kommt nichts heraus, das habe ich von den Honigkuchen gelernt!"
Und der Sonntag kam und Knud kam, aber wie unglücklich traf es sich. Sie waren alle eingeladen und mußten es ihm sagen. Johanne drückte ihm die Hand und fragte: "Warst Du schon in der Oper? Da mußt Du einmal hingehen! Ich singe am Mittwoch, und wenn Du dann Zeit hast, werde ich Dir ein Billet schicken, mein Vater weiß, wo Dein Meister wohnt."
Wie lieb das von ihr war. Am Mittwoch Mittag kam auch richtig ein versiegeltes Kuvert ohne eine Zeile, aber das Billet lag darin, und am Abend ging Knud zum ersten Male in seinem Leben ins Theater und was sah er dort? Ja, er sah Johanne, und schön und lieblich wie nie erschien sie ihm. Sie verheiratete sich zwar mit einer fremden Person, doch das war Theater, das wußte Knud, denn sonst hätte sie sicher nicht das Herz gehabt, ihm ein Billet zu schicken, daß er zusehen müsse. Und alle Leute klatschten und riefen laut Beifall und Knud rief Hurra.
Selbst der König lächelte Johanne zu, als freue er sich auch über sie. Ach Gott, wie fühlte sich Knud klein, aber er liebte sie so innig und sie hatte ihn ja auch lieb; die Mannsleute müssen das erste Wort sagen, so hatte die Honigkuchenjungfer gesagt. In der Geschichte lag wirklich ein tiefer Sinn.
Als der Sonntag herangekommen war, ging Knud wieder hin; seine Gedanken waren so feierlich wie beim Abendmahl. Johanne war allein und empfing ihn, es konnte sich nicht glücklicher treffen.
"Es ist gut, daß Du kommst!" sagte sie. "Fast hätte ich Vater zu Dir geschickt, aber ich hatte so eine Ahnung, daß Du heute abend herkommen würdest; denn ich muß Dir sagen, daß ich am Freitag nach Frankreich reise, das ist nötig, damit etwas Tüchtiges aus mir wird."
Knud war es, als drehe sich die ganze Stube um ihn, als solle sein Herz brechen; aber es kamen keine Tränen in seine Augen, so deutlich es auch sichtbar war, wie betrübt er wurde. Johanne sah es und war nahe daran zu weinen. "Du ehrliche, treue Seele" sagte sie - und nun löste sich Knuds Zunge, und er sagte ihr, wie innig er sie liebe und daß sie seine kleine Frau werden müsse. Aber während er es sagte, sah er, daß Johanne totenbleich wurde, sie ließ seine Hand los und sagte ernst und betrübt: "Mache nicht Dich selbst und mich unglücklich, Knud. Ich bleibe Dir immer eine gute Schwester, auf die Du Dich verlassen kannst - aber auch nicht mehr." Und sie strich mit ihrer weichen Hand über seine heiße Stirn. "Gott gibt uns Kraft zu vielem, wenn man nur selbst will."
In diesem Augenblick trat ihre Stiefmutter herein.
"Knud ist ganz außer sich, weil ich reise" sagte sie; "sei doch ein Mann" und dann klopfte sie ihn auf die Schulter. Es sah aus, als hätten sie nur von der Reise und von nichts anderem gesprochen. "Kind" sagte sie, "nun mußt Du gut und vernünftig sein wie unter dem Weidenbaum, da wir beide als Kinder darunter spielten!"
Für Knud war es, als sei die Welt aus ihren Fugen gegangen. Seine Gedanken hingen wie ein loser Faden, willenlos dem Winde preisgegeben. Er blieb, er wußte nicht, ob sie ihn darum gebeten hatten, aber sie waren freundlich und gut zu ihm. Johanne schenkte ihm Tee ein und sang; es war nicht der alte Klang, aber doch so unsagbar schön; daß ihm das Herz in Stücke brechen wollte, und dann schieden sie. Knud reichte ihr nicht die Hand, aber sie nahm die seine und sagte: "Du gibst doch Deiner Schwester die Hand zum Abschied, mein alter Spielbruder." Sie lächelte unter Tränen, und während sie ihr über die Wangen herabliefen, wiederholte sie: "Bruder." Ja, das konnte groß helfen! - So war ihr Abschied.
Sie segelte nach Frankreich und Knud lief durch die schmutzigen Kopenhagener Gassen. - Die anderen Gesellen aus der Werkstatt fragten ihn, was er so umherliefe und grübele; er solle mit ihnen zum Vergnügen gehen, er sei ja ein junges Blut.
Und sie gingen zusammen auf einen Tanzboden. Dort gab es viele hübsche Mädchen, aber freilich keine wie Johanne, und dort, wo er geglaubt hatte, sie vergessen zu können, gerade dort stand sie am lebendigsten vor seiner Seele. "Gott gibt Kraft zu vielem, wenn man nur selbst will!" hatte sie gesagt; und es kam eine Andacht über ihn, daß er seine Hände falten mußte - und die Violinen spielten und die Mädchen tanzten um ihn her. Er erschrak, es schien ihm, dies sei hier kein Ort, wohin er Johanne führen konnte, und sie war ja stets in seinem Herzen. So ging er wieder hinaus und lief durch die Straßen. Er kam an dem Hause vorbei, wo sie gewohnt hatte. Es war dunkel dort, überall war es dunkel, leer und einsam; die Welt ging ihren Gang und Knud den seinen.
Es wurde Winter und die Gewässer froren zu, es war gerade, als ob alles sich zur Grabesruh einrichtete.
Als aber das Frühjahr kam und das erste Dampfschiff ging, erfaßte ihn eine Sehnsucht fortzukommen, weit in die Welt hinaus, nur nicht zu nahe an Frankreich heran.
So schnürte er sein Ränzel und wanderte weit nach Deutschland hinein, von Stadt zu Stadt, ohne Rast und Ruh. Erst als er in die alte prächtige Stadt Nürnberg kam, war es, als ob ihm wieder einiges Sitzfleisch wüchse, und er vermochte zu bleiben.
Das ist eine wunderliche alte Stadt, wie aus einem alten Bilderbuche ausgeschnitten. Die Straßen lagen, ganz wie sie selbst es zu wollen schienen, die Häuser mochten nicht in einer Reihe stehen, Erker mit Türmchen, Schnörkel und Steinbilder sprangen bis weit über den Bürgersteig hervor, und hoch oben an den wunderlich schiefen Dächern liefen mitten über die Straßen Dachrinnen, die wie Drachen oder Hunde mit langen Leibern geformt waren.
Hier stand Knud auf dem Markte mit dem Ränzel auf dem Rücken; er stand an einem alten Springbrunnen, wo die herrlichen Erzfiguren, biblische und historische, zwischen den aufsteigenden Wasserstrahlen stehen Ein hübsches Dienstmädchen holte gerade Wasser, sie gab Knud einen frischen Trunk, und da sie eine ganze Hand voller Rosen hatte, gab sie Knud auch eine von diesen, und das schien ihm ein gutes Vorzeichen zu sein.
Aus der Kirche nahe dabei brauste Orgelklang bis zu ihm hinaus, das klang ihm so heimatlich wie die Klänge der Kirche in Kjöge, und er trat in den großen Dom ein. Die Sonne schien durch die gemalten Fenster hinein zwischen die hohen, schlanken Pfeiler; seine Gedanken wurden von Andacht ergriffen und Stille zog in seine Seele ein.
Und er suchte und fand einen guten Meister in Nürnberg, und bei ihm blieb er und lernte die Sprache.
Die alten Gräben um die Stadt sind in kleine Gärtchen verwandelt, aber die hohen Mauern stehen noch mit ihren schweren Türmen da. Der Seiler schnürt seine Stricke auf der hölzernen Galerie, die an den Mauern hinläuft, und hier wuchsen aus Spalten und Löchern Holundersträuche, die ihre Zweige über die kleinen, niedrigen Häuser unter ihnen hängen, und in einem von diesen wohnte der Meister, bei dem Knud arbeitete. Über das kleine Dachfenster hin, wo er schlief, breitete ein Holunderbusch seine Zweige.
Hier wohnte er einen Sommer und einen Winter. Als aber das Frühjahr kam, war es nicht mehr auszuhalten. Der Holunder stand in Blüte und duftete so heimatlich, daß ihm war, als sei er im Garten vor. Kjöge, und so sagte Knud seinem Meister Lebewohl und zog zu einem anderen, der weiter innen in der Stadt wohnte, wo keine Holundersträuche standen.
Seine neue Werkstatt lag nahe bei einer von den alten steinernen Brücken und gerade gegenüber einer stets brausenden, niedrigen Wassermühle. Dahinter strömte ein reißender Fluß, der gleichsam von den Häusern eingeklemmt wurde, die alle mit alten, baufälligen Altanen behängt waren; es sah aus, als wollten sie diese ins Wasser hinabschütteln. - Hier wuchs kein Holunder, hier stand nicht einmal ein Blumentopf mit ein wenig Grün, aber gerade gegenüber stand ein großer alter Weidenbaum, der sich gleichsam an dem Hause dort festklammerte, um nicht vom Strome mit fortgerissen zu werden. Er streckte seine Zweige über den Fluß hin, ganz wie der Weidenbaum im Garten am Bache von Kjöge.
Ja, da war er freilich nur vom Fliedermütterchen zum Weidenväterchen gekommen. Der Baum hier, ganz besonders an Mondscheinabenden, hatte etwas, wobei er sich fühlte: "so dänisch im Herzen beim Mondenschein."
Aber es war nicht der Mondschein, der es machte, nein, es war der alte Weidenbaum.
Wieder konnte er es nicht aushalten, und warum nicht? Frag die Weide, frag den blühenden Holunder. Und so sagte er dem Meister und Nürnberg Lebewohl und zog weiter.
Zu niemandem sprach er von Johanne. Tief innen verbarg er seinen Kummer, und eine besondere Bedeutung legte er der Geschichte von den Honigkuchen bei. Nun verstand er, warum der Mann an der linken Seite eine bittere Mandel an Stelle des Herzens hatte; er hatte selbst einen bitteren Geschmack davon und Johanne, die stets so freundlich und lächelnd war, sie war nur reiner Honigkuchen. Es war, als schnüre ihn der Riemen seines Ränzels, so schwer wurde ihm das Atemholen. Er lockerte ihn, aber es wollte nichts helfen. Die Welt um ihn war nur zur Hälfte da, die andere Hälfte trug er in sich, das war es.
Erst als er die hohen Berge sah, erschien ihm die Welt wieder größer, seine Gedanken wandten sich wieder seiner Umgebung zu und Tränen stiegen in seine Augen. Die Alpen erschienen ihm wie die zusammengelegten Flügel der Erde. Wie, wenn sie sich emporhöbe und die großen Federn ausbreitete mit den bunten Bildern von schwarzen Wäldern, brausenden Wassern, Wolken und Schneemassen! Am Jüngsten Tage entfaltet die Erde ihre großen Schwingen, fliegt zu Gott empor und platzt wie eine Blase vor seinen klaren Strahlen. "O, wäre doch erst der Tag da!" seufzte er.
Still wanderte er durch das Land, das ihm wie ein großer grüner Fruchtgarten erschien; von den Holzaltanen der Häuser nickten ihm die klöppelnden Mädchen zu, die Gipfel der Berge glühten in der roten Abendsonne, und als er die grünen Seen zwischen den dunklen Bäumen schimmern sah, - da mußte er wieder an den Strand bei der Bucht von Kjöge denken, und es war Wehmut, aber kein Schmerz mehr in seiner Brust.
Dort, wo der Rhein wie in einer großen Woge sich vorwärts wälzt, hinabstürzt, zerschellt und sich zu schneeweißen klaren Wolkenmassen verwandelt - ein Regenbogen flattert wie ein loses Band darüber hin - , dachte er an die Wassermühle von Kjöge, wo auch das Wasser brausend zerschellt war.
Gern wäre er in der stillen Stadt am Rhein geblieben, aber auch hier war so viel Holunder und so viele Weidenbäume - so zog er weiter, über die hohen, mächtigen Berge, durch Felssprengungen, und Wege entlang, die wie Schwalbennester an den Steinwänden klebten. Das Wasser brauste in der Tiefe, die Wolken jagen unter ihm; über blanke Disteln, Alpenrosen und Schnee wanderte er in der warmen Sommersonne dahin - und dann sagte er den Ländern des Nordens Lebewohl und kam hinab unter Kastanienbäume, wischen Weingärten und Maisfelder. Die Berge waren wie eine Mauer zwischen ihm und allen Erinnerungen aufgerichtet, und so sollte es sein.
Vor ihm lag eine große, prächtige Stadt, die sie Milano nannten, und hier fand er einen deutschen Meister, der ihm Arbeit gab. Es war ein altes, ehrliches Ehepaar, zu dem er in die Werkstatt gekommen war, und sie gewannen den stillen Gesellen, der wenig sprach, aber desto mehr arbeitete und fromm und christlich war, lieb. Es war ihm nun, als habe Gott die schwere Last von seinem Herzen genommen.
Seine größte Freude war, bisweilen die große Marmorkirche hinaufzusteigen, die ihn aus dem heimatlichen Schnee geschaffen schien, und mit ihren Bildern, spitzen Türmen und blumengeschmückten offenen Hallen einen gar schönen Anblick bot. Aus jeder Ecke, von jeder Spitze und jedem Bogen lächelten die weißen steinernen Bilder ihm zu.
Oben hatte er den blauen Himmel über sich, unter sich die Stadt und die weite grüne Ebene der Lombardei, und nach Norden zu die hohen Berge mit ihrem ewigen Schnee - und dann dachte er wieder an die Kirche von Kjöge mit den Efeuranken um die roten Mauern, aber er sehnte sich nicht mehr zurück, hier hinter den Bergen wollte er begraben sein.
Ein Jahr lang hatte er hier gelebt; es war nun drei Jahre her, seit er aus der Heimat gezogen war, da führte ihn sein Meister einmal in die Stadt, nicht in den Zirkus, um die Kunstreiter zu sehen, nein, in die große Oper, und das war auch ein Saal, der wert war, gesehen zu werden. Sieben Etagen hoch hingen dort Seidenvorhänge, und vom Boden bis zur Decke hinauf, schwindelnd hoch, saßen die feinsten Damen mit Blumen in den Händen, als wollten sie zum Ball gehen. Auch die Herren waren in vollem Staat und viel Gold und Silber glänzte. Es war so hell wie im liebtesten Sonnenschein und dann brauste die Musik so stark und so herrlich empor, es war noch weit prachtvoller als in der Kopenhagener Oper, aber dort war doch Johanne und hier - da, es war wie ein Zauber, die Gardine wurde zur Seite gezogen - auch hier stand Johanne, in Gold und Silber gekleidet und mit einer goldenen Krone auf dem Haupte. Sie sang, wie nur ein Engel Gottes singen kann. Sie trat vor, so weit sie es konnte und lächelte, wie nur Johanne es vermochte; sie blickte gerade Knud an.
Der arme Knud griff nach seines Meisters Hand und rief laut: "Johanne." Aber es war nicht zu hören, die Musikanten spielten so laut, und der Meister nickte ihm zu: "Ja, gewiß heißt sie Johanne" und dann nahm er ein gedrucktes Blatt und zeigte ihm, wo ihr Name stand, ihr ganzer Name.
Nein, es war kein Traum. Und alle Menschen jubelten und warfen ihr Blumen und Kränze zu und jedes Mal, wenn sie ging, wurde sie wieder hervorgerufen; sie ging und kam wieder.
Auf den Straßen draußen scharten sich die Leute um ihren Wagen und zogen ihn, und Knud war der allervorderste und der allerglücklichste. Und als sie an ihr prächtiges, hellerleuchtetes Haus kamen, stand Knud gerade vor der Wagentür. Sie wurde geöffnet und sie stieg heraus, das Licht fiel hell auf ihr anmutiges Gesicht und sie lächelte und dankte so freundlich; sie konnte ihre Rührung kaum verbergen. Und Knud blickte ihr gerade ins Antlitz und sie blickte Knud gerade ins Antlitz, aber sie erkannte ihn nicht. Ein Herr mit einem Stern auf der Brust reichte ihr den Arm - sie wären verlobt, sagte man.
Da ging Knud nachhause und schnürte sein Ränzel, er wollte, er mußte heim zum Holunder und der Weide - ach, unter den Weidenbaum. In einer Stunde kann man ein ganzes Menschenleben durchleben!
Sie baten ihn, zu bleiben; kein Wort konnte ihn zurückhalten. Sie sagten ihm, es sei Winterszeit und in den Bergen fiele schon Schnee; aber in der Spur der langsam fahrenden Wagen, vor denen ja Weg gebahnt werden müsse, könne er mit seinem Ränzel auf dem Rücken und auf seinem Stab gestützt gehen.
Und er ging auf die Berge zu, stieg rastlos hinauf und hinab; ganz entkräftet, konnte er noch immer weder Stadt noch Haus erblicken. Er war schon weit gegen Norden. Über ihm erglänzten die Sterne, seine Füße wankten, der Kopf schwindelte ihm. Tief unten im Tale erglänzten jetzt auch Sterne; es war, als erstreckte sich der Himmel auch unter ihm. Er fühlte sich krank. Die Sterne dort unten wurden mehr und mehr, und sie leuchteten immer heller und bewegten sich hin und her. Es war eine kleine Stadt, aus der die Lichter herauf blinkten, und als er es begriff, nahm er seine letzten Kräfte zusammen und erreichte eine geringe Herberge.
Einen ganzen Tag lang blieb er hier, denn seine Glieder verlangten nach Ruhe und Pflege. Es war Tau und Regenwetter im Tale. Aber am Morgen kam ein Drehorgelmann vorbei, und als er auch eine Melodie aus der dänischen Heimat spielte, konnte Knud es nicht länger aushalten, er wanderte tagelang, viele Tage lang, mit einer Hast vorwärts, als gelte es heimzukommen, ehe sie alle dort starben. Aber zu niemandem sprach er von seiner Sehnsucht, niemand konnte annehmen, daß er ein Herzeleid trug, das tiefste, das man tragen kann. Es versteckt sich vor der Welt, es läßt keine Freude zu, es versteckt sich selbst vor den Freuden, aber er hatte auch keine Freunde. Fremd wanderte er durch das fremde Land heimwärts nach Norden. In dem einzigen Brief von zu Hause, den die Eltern vor Jahr und Tag geschrieben hatten, stand: "Du bist kein rechter Däne wie wir anderen hier daheim. Wir sind fürs Vaterland, Du aber findest nur an der Fremde Gefallen." Eltern konnten so etwas schreiben - nein sie wußten nicht, was ihn bewegte.
Es war Abend, er ging auf der offenen Landstraße und es begann zu frieren; das Land selbst wurde flacher und flacher, Felder und Wiesen wechselten einander ab; da stand am Wege ein großer Weidenbaum: alles sah schon heimatlich, fast dänisch aus. Er setzte sich unter den Weidenbaum; er fühlte sich so müde, sein Haupt sank auf die Brust und seine Augen schlossen sich zum Schlafe, aber er fühlte und vernahm deutlich, wie die Weide ihre Zweige zu ihm herabsenkte. Der Baum erschien wie ein mächtiger alter Mann. Es war Weidenväterchen selbst, der ihn in seine Arme nahm und den müden Sohn heim ins dänische Land trug, an den weißen offenen Strand, nach der Stadt Kjöge in den Garten seiner Kindheit. Ja, es war der Weidenbaum aus Kjöge selbst, der in die Welt hinausgegangen war, um ihn zu suchen und zu finden, und nun hatte er ihn gefunden und heimgebracht in den kleinen Garten am Bach, und hier stand Johanne in all ihrer Pracht mit der goldenen Krone auf dem Haupte, die er zuletzt an ihr gesehen hatte und rief: "Willkommen."
Und dicht vor ihnen standen zwei wunderliche Gestalten, aber sie waren viel menschlicher geworden seit damals, sie hatten sich auch verändert. Es waren die beiden Honigkuchen, das Mannsbild und das Frauenzimmer; sie zeigten sich von der richtigen Seite und sahen gut aus.
"Schönen Dank" sagten sie beide zu Knud; "Du hast unsere Zungen gelöst. Du hast uns gelehrt, frisch und frei seine Gedanken auszusprechen, sonst kommt nichts dabei heraus. - Wir sind verlobt!"
Darauf gingen sie Hand in Hand durch die Straßen von Kjöge und sahen auch von der Kehrseite sehr anständig aus, es war nichts gegen sie zu sagen. Und sie gingen geradewegs zur Kirche von Kjöge hinein, und Knud und Johanne folgten ihnen. Sie gingen auch Hand in Hand. Die Kirche stand wie immer mit ihren roten Mauern und dem Efeugrün, und die große Kirchentür öffnete sich nach beiden Seiten, die Orgel erbrauste und das Mannsbild und das Frauenzimmer gingen beide im Kirchengange voran: "Die gnädigen Herrschaften zuerst!" sagten sie, und dann traten sie zur Seite vor Knud und Johanne, und sie knieten am Altar nieder. Sie beugte ihr Haupt über sein Antlitz, und es rollten eiskalte Tränen aus ihren Augen; das war das Eis um ihr Herz, das durch seine starke Liebe geschmolzen wurde, und sie fielen auf seine brennenden Wangen, und - dabei erwachte er und saß unter dem alten Weidenbaum im fremden Lande an dem kalten Winterabend; aus den Wolken fiel eisiger Hagel und peitschte in sein Gesicht.
"Das war die glücklichste Stunde meines Lebens" sagte er, "und sie war ein Traum. - Gott, lasse mich noch einmal so träumen!" Und er schloß seine Augen, er schlief, er träumte.
Am Morgen fiel Schnee, er fegte über seine Füße hin, aber er schlief. Die Landleute gingen zur Kirche; da saß ein Handwerksbursche, er war tot, erfroren - unter dem Weidenbaum.